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Taufe des Herrn, Lesejahr C - zum Evangelium

Da das Volk aber Hoffnungen hatte, und alle sich in ihren Herzen Gedanken darüber machten, ob Johannes vielleicht der Gesalbte sei, sagte Johannes zu allen: »Ich tauche euch in Wasser ein. Es kommt aber einer, der ist stärker als ich. Ich bin nicht gut genug, ihm den Riemen seiner Schuhe zu lösen. Er wird euch mit heiliger Geistkraft und Feuer eintauchen.« [...]
Als aber das ganze Volk eingetaucht wurde, wurde auch Jesus eingetaucht. Und als er betete, öffnete sich der Himmel und die heilige Geistkraft kam in leiblicher Gestalt auf ihn herab – wie eine Taube – und eine Stimme aus dem Himmel rief: »Du bist mein geliebter Sohn.«

(Lukasevangelium, Kapitel 3, Verse 15-16 und 21-22)

2000 Jahre Abstand machen etwas mit den Leser*innen biblischer Texte. Je mehr Geschichte dazwischenliegt, desto eher passiert es, dass spätere Selbstverständlichkeiten mitgehört werden. Das Vorverständnis, mit dem der Text gehört wird, unterscheidet sich dann sehr vom Verstehenshorizont der ersten Hörer*innen.

So hören wir in den Geschichten von der Taufe Jesu oft nicht mehr den Durchzug durch das Rote Meer, sehen bei der Beschreibung des Johannes weder Simson noch Samuel vor unserem inneren Auge, haben bei der Nennung der heiligen Geistkraft weder die weibliche Präsenz Gottes vor Augen noch den lauten Atem der Geburt und erinnern uns bei der Feuertaufe nicht mehr an das Feuer des Dornbuschs, aus dem Mose die Stimme der Gottheit hörte. Wir denken statt dessen oft schon an die christliche Taufe, die uns so selbstverständlich ist. Dadurch gerät aus dem Blick, wie neu und kreativ es war, das Tauchbad mit dem Gedanken der Vergebung der Sünden und der Qualifizierung für das Endgericht zu verbinden. Das Tauchbad galt eigentlich der Abwaschung von Unreinheit, wobei Unreinheit zwar als ansteckend verstanden wurde und von bestimmten religiösen Praktiken ausschloss, aber nicht moralisch bewertet wurde: Unreinheit hat nichts mit Sünde zu tun, wie man sehr gut daran sieht, dass einen toten Körper anzufassen auch unrein macht, Tote zu bestatten aber eine wichtige religiöse Pflicht ist. Unreinheit heißt, der Grenze von Tod und Leben nahegekommen zu sein, und die Zeit - einmal darüber schlafen - oder ein Tauchbad bringen den Menschen dann wieder auf die sichere Seite des Lebens.

Von Schuld befreien konnten im ersttestamentlichen Verständnis weder die Zeit noch das Tauchbad, sondern hier greift der Gedanke der Sühne, auch als Sühneopfer, und/oder der Strafe, die die gerechte Ordnung wiederherstellen.

Der Endzeit-Prediger Johannes verbindet beides und verkündet, mit dem Tauchbad die Sünden abzuwaschen, was einen ausgesprochen priester- und tempelkritischen Beiklang hat, denn es macht das Sühneopfer obsolet. Mit Johannes’ Familiengeschichte im Hintergrund ist das auch eine Emanzipationsgeschichte von den Überzeugungen der Älteren.

Prophetischer Mut als Antwort auf die Bedrängungen der eigenen Zeit. Eine Jugend, die kritisch mit der Tradition umgeht und Teile davon einfach für überflüssig erklärt. Ein endzeitliches Zeichen als Verzicht darauf, eigene Privilegien auszunutzen und Unterdrückung zu akzeptieren. Ein ebenso radikaler wie lebbarer Neuanfang für viele. Dieser Text kann weit mehr sein als eine museale Erinnerung innerhalb verkrusteter Strukturen.