2. Sonntag nach Weihnachten, Lesejahr C // Weisheit
Im Anfang war die Weisheit: So lässt sich der Beginn des Johannesevangeliums auch übersetzen. Denn "Weisheit" und "Wort" sind um die Zeitenwende im frühjüdischen Denken austauschbare Begriffe. Beide stehen für das weltzugewandte Gesicht der Gottheit, die sich in einer langen religionsgeschichtlichen Entwicklung als eine einzige Gottheit über allem, als bildlos und als eine Gottheit ohne aussprechbaren Namen erwiesen hatte und also immer transzendenter geworden war.
Sowohl das Wort als auch die Weisheit Gottes - Frau Weisheit - sind mit einer gewissen Eigenständigkeit in der Welt unterwegs, und diese weltzugewandte Seite Gottes wird schon zu Beginn der Schöpfung anwesend geglaubt.
Jesusgläubige verehren ihren Messias zuerst als "Sohn der Weisheit". In der Trennung der Wege der beiden entstehenden Religionen Judentum und Christentum wandert der Begriff der Weisheit dann zum Judentum und der Begriff des Logos für Jesus Christus zum Christentum. Die Eigenschaften der Weisheit gehen in der westlichen Kirche im Laufe der Zeit auf Maria über, denn Menschen wollen das weibliche Element im Göttlichen nicht missen. In den Ostkirchen blieb die Heilige Weisheit eine Gestalt der Ikonengalerie, darum hat das Marienbild dort nicht so königliche Züge und darum stellen die römischen Mariendogmen so eine große Hürde in der Ökumene dar.
Im Anfang war die Weisheit. Die Weisheit fürchtet das Neue nicht, sie schlüpft in neue Bilder, wenn die Wiederholung veralteter Worte den Glauben nicht mehr erschließt. Sie schert sich wenig um konfessionelle Grenzen, sie ist genderfluide, mächtig und gastfreundlich. Sie kommt mit Komplexität zurecht und zielt auf ein gutes Leben in Fülle. Im Anfang des neuen Jahres nehme die Weisheit bei uns Wohnung.