
4. Sonntag der Osterzeit C // zum Evangelium
Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir, und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie werden bis in Ewigkeit nicht verloren gehen und niemand wird sie aus meiner Hand rauben. Mein Vater hat sie mir gegeben und ist größer als alle, und niemand kann sie aus der Hand Gottes rauben. Ich und der Vater sind eins.
(Johannesevangelium, Kapitel 10, Verse 27-30)
Es führt zu Missverständnissen, wenn poetiche Sprache nicht als solche erkannt wird, sondern als Sprache der Fakten (miss-)verstanden wird. Genauso führt es zu Missverständnissen, wenn eine spirituelle Erfahrung als objektiv darstellbares Geschehen aufgefasst wird. Wenn dazu noch sprachliche Fremdheit kommen und die literarische Gestaltung einer Schrift nicht mehr bewusst ist, sondern die in dieser Schrift als Jesu Rede wiedergegebenen Worte als faktische Worte des irdischen Jesus betrachtet werden, mit denen Jesus als Sohn Gottes den Menschen das Wesen Gottes objektiv enthüllt, dann kommt man in Spekulationen, die kaum noch zu einem begründeten Glauben verhelfen können in einer Welt, die sprachlich, kulturell und ideell so unfassbar weit entfernt ist von denen, die das Evangelium verfasst haben. EIne Zeitspanne von 1900 Jahren lässt sich nicht so einfach überbrücken. Wer hat schon eine Vorstellung davon, wie das Leben bei uns im Jahr 3925 aussehen wird? So weit sind die Autor*innen dieses Textes von uns entfernt. Von Jesus während seines Lebens in der römischen Provinz Palästina sind sie nicht ganz so weit entfernt, nur etwa drei Generationen. Also so weit wie wir von geläufigen Worten wie Backfisch für eine Jugendliche, von Etappenhase und Kanaille, von knorke, famos und piekfein.
Das Johannesevangelium ist auf Griechisch verfasst, Jesu Muttersprache war aramäisch, seine religiöse Muttersprache hebräisch. Auch das ist wichtig, will man die Bildsprache des Johannesevangeliums nicht missverstehen. Das Gottesbild in diesem griechischen Text, "pater", ist männlich gegendert. Es hat aber ein breiteres Bedeutungsspektrum als ausschließlich "Vater" im menschlichen Sinne, es kann auch im Sinne von "Eltern" verwendet werden oder das Bedeutungsfeld "Ursprung, Herkunft" bildlich erschließen. Jesus bringt das Bild des Vaters in die Rede von Gott ein - und verknüpft das damit, dass die soziale Vaterrolle in seiner Gruppe fehlt und auch fehlen soll. Die Seinen sollen sie nicht für sich in Anspruch nehmen und sich nicht so anreden lassen, sie sollen einander Bruder und Schwester und Mutter sein, aber nicht Vater, denn Vater sein bedeutet auch, Macht über jemanden zu haben, und das soll allein Gott zukommen. (Ein Blick in römisch-katholische Strukturen macht schnell klar, dass dies ein frommer Wunsch geblieben ist. Menschen üben viel zu gern Macht über andere aus, und am liebsten männlich-patriarchal begründete Macht.) Und selbstverständlich ist damit nicht ausgesagt, dass Gott Vater ist in dem Sinne, dass er mit diesem Bild identisch sei. Gott ist wie ein Vater, das Bild ist ein Beziehungsangebot. Es ist ein religiöses Problem, wenn das Gottesbild mit Gott selbst verwechselt wird, und ein enormer Risikofaktor für geistlichen Machtmissbrauch.
Unschwer ist in den Worten, die Jesus in den Mund gelegt werden, das Ringen darum erkennbar, wie es sich verhält mit den Jesugläubigen und ihrer Zugehörigkeit zur Gottheit Israels. Es ist in die Sprache spiritueller Erfahrung gekleidet und soll in diese Erfahrung einführen: Sich ganz im Einklang zu wissen mit Gott, die alles Leben umfängt und bewahrt. Ich bin eins mit Gott, meinem Ursprung. "Ich und der Vater sind eins" kann sowohl diese Einheitserfahrung ins Wort bringen als auch darauf abzielen, dass beide in den Zielen übereinstimmen, dass in Jesu Handeln also Gottes Wille zum Ausdruck kommt. Es ist ja die Glaubensaussage späterer Jesusgläubiger, die für sich durchbuchstabieren, wie Jesus als Mensch-von-Gott begriffen werden kann. "Ich und der Vater sind eins" bedeutet dann: Im Leben Jesu kann man der Weite und Fülle Gottes begegnen, im Gesehenwerden, Sattwerden, Aufgerichtetwerden. Diese Worte sind kein wörtliches Zitat Jesu von Nazareth. Sie sind auch keine Sachaussage darüber, dass Gott männlich wäre. Es ist ein Missverständnis symbolischer Sprache, wenn sie so faktifiziert wird, als müsse Gott männlich sein, um mit dem ebenfalls männlichen Menschen Jesus eins sein zu können.
Diese Worte sind auch keine Sachaussage über die Präexistenz des Menschen Jesus, dass er also schon vor aller Zeit existiert habe. Sondern auch hier ist in poetische Sprache gefasst, dass der Mensch Jesus - so sicher, wie er selbst in Gott eingeborgen war - auch andere in diese Geborgenheit mitnehmen konnte. Wenn ein späteres Credo in der gleichen Spur formuliert, Jesus sei "aus dem Vater geboren vor aller Zeit", dann ist das ohne die Weisheitstheologie der Zeitenwende nicht zu verstehen: Die Jesusgläubigen betrachten ihn als Verkörperung der Weisheit, und diese wiederum ist eines der weltzugewandten Gesichter Gottes, die Eingang in die religiöse Sprache fanden, als Gott in der Entwicklung zum Monotheismus immer transzendenter und weltentzogener geglaubt wurde. In der Trennung der Wege von Judentum und Christentum wanderte dann der Begriff der Weisheit auf die Seite des Judentums und der synonyme Begriff des logos zum Christentum, wo er als grammatikalisch männlicher Begriff auf Dauer leichter mit Jesus identifiziert werden konnte.
Jesus war von vielen selbst als weltzugewandtes Gesicht Gottes erlebt worden - diese Erfahrung findet ihren Ausdruck, wenn von ihm gesagt wird, er sei immer schon bei Gott gewesen, und auch, wenn es aus seinem Mund heißt "Ich und der Ursprung sind eins." Aber selbstverständlich ist das ein hochsymbolisches Sprechen und nicht auf der Ebene des faktisch Aussagbaren angesiedelt. Es wird tote Faktensprache daraus, wenn sie in definierte Glaubenssätze gegossen wird. Die Erfahrung Jesu war lebendig, und die Erfahrungen derer, die in ihm Gottes Weite begegnet waren, auch.