Zum Fest der heiligen Familie
So viel Zeitgeist in der Kirche, nur eben nicht von heute...
Wie kommt eine Religionsgemeinschaft, deren zentrale Figur so ausgesprochen familienkritisch ist wie es Jesus von Nazareth war, zu einer Familien-Ideologie, wie sie die katholische Kirche seit der Neuerfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert pflegt?
Das Fest der heiligen Familie ist ein ziemlich junges Fest im Jahreskreis, es wurde 1893 eingeführt. Das war allerdings keine komplette Neustiftung wie gut 30 Jahre später das Christkönigfest, sondern die Aufnahme einer lokalen Tradition in den römischen Generalkalender. Nachdem es dann im Pontifikat Pius X. wieder ausgesetzt wurde - der Papst wollte den vom Heiligengedenken überwucherten Kalender übersichtlicher gestalten und vor allem den Sonntag wieder hervorheben -, wurde es Anfang der 1920er Jahre wieder eingeführt. Seinen heutigen Platz am Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr erhielt es im Zuge der Liturgiereform 1969.
Mit der Zeit der Wieder-Einsetzung des Festes Anfang der 1920er Jahre ist der geschichtliche Zusammenhang unschwer erkennbar: Die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs und die Verheerungen, die Tod, Verstümmelung und Traumatisierung der Väter für die Kleinfamilie bedeuteten, sind genauso maßgeblich wie die Konkurrenz zum Bolschewismus der frisch gegründeten Sowjetunion. Die katholische Kirche konnte, als sie die vermeintlich traditionellen Geschlechter- und Familienbilder einzuschärfen begann, auf die Prägungen des 19. Jahrhunderts zurückgreifen, als Kleinfamilie und Lebensschutz zu Identitätsmarkern des Katholischen geworden waren, ebenso wie die Immaculata und die Unfehlbarkeit des Papstes. Mit den Mitteln der Moderne - unter anderem schnellere Transportwege, Telegrafie und Rotationsdruck - wurde nun massenweise katholisches Merchandising betrieben, um ein antimodernes Weltbild einzuschärfen: Andachtsbildchen im Nazarener-Stil gehören dabei ebenso zum Repertoire wie industriell gefertigte Lourdes-Madonnen und eben Bilder und Statuen der heiligen Familie.
Dieses antimoderne Weltbild war aber ausgesprochen jung, ebenso wie seine Genderrollen. Diese entstammen dem bürgerlichen 19. Jahrhundert in Europa und zeichnen ein Bild des starken, aushäusig tätigen Vaters, des Haushaltsvorstandes, dem das Bild der häuslichen, treusorgenden Mutter entspricht. Diese Gender-Konstruktion setzt Weiblichkeit weitgehend mit Gebärfähigkeit gleich und idealisiert und versüßlicht dabei die Mutterschaft. Sie ist vor allem als eine Gegenbewegung zu den Demokratiebestrebungen in vielen europäischen Ländern entstanden, denn mit der Idee der Menschenrechte kam auch der Gedanke auf, dass Frauen gleichberechtigt sein könnten. Indem dann aber die Frau als das "ganz Andere" zugleich ausgegrenzt und überhöht wurde, konnten Frauen zumindest zeitweise von männlichen Privilegien ferngehalten werden. Und weil die Frau gleichzeitig auf ihre Mutterrolle festgelegt wurde, wurde das Ganze dann noch mit moralischen Ansprüchen unterlegt, die auch an staatliche Interessen gut anknüpfen konnten. Wenn es um die Wahrung von Privilegien geht, funktionieren Männerbünde auch über ideologische Gräben hinweg hervorragend. Und in der katholischen Kirche wirkt diese Denkfigur noch immer, indem die (natürlich genau zwei) Geschlechter massiv mit Bedeutung aufgeladen und mit dazugehörigen Pflichten ausgestattet werden, wie es der Papst auch heute noch predigt und damit nahtlos an seine Vorgänger seit dem 20. Jahrhundert anschließt. "Gleichwürdig, aber nicht gleichberechtigt" heißt hier die Formel, mit der man sich gegen die Idee der Gleichheit immunisiert, weshalb eine Frau kein Recht darauf hat, dass ihre Berufung zu einem kirchlichen Amt geprüft wird wie bei einem Mann.
Das Bild der heiligen Kleinfamilie schließt heute wesentlich mehr Menschen aus als ein, auch wenn es ein gewisses Patchwork-Element integriert. Single sein, alleinerziehend sein, sich mühsam aus häuslicher Gewalt befreien, bereute Mutterschaft sind nur wenige Stichworte, die deutlich machen, wie weit sich das Ideenfest der heiligen Familie mit seiner Imagination einer vermeintlich heilen Vergangenheit von heutigen Fragen entfernt hat, zumal auch das jährliche Begehen dieses Festes immer weniger greift. Auch unter Präventionsgesichtspunkten ist dieses Bild der heiligen Familie im Übrigen problematisch, weil es als ein Bild mit entsexualisierten Figuren eine Sprachlosigkeit in Fragen der Sexualität befördert, die Kinder wehrlos macht.
In der Bibel finden sich viele Familienbilder. Um darin aber das Ideal der heiligen katholischen Kleinfamilie zu finden, muss man jedoch sehr selektiv lesen und dabei fest entschlossen sein, dieses Bild in den Texten auch zu finden. (Bisweilen muss man dafür Lesungstexte auch ziemlich brutal zurechtschnitzen.) Man liest, was man weiß, und wenn man mit Scheuklappen und blinden Flecken liest, dann kann man tatsächlich in der Bibel Belege für das Kleinfamilienideal finden, das dem Fest der heiligen Familie zugrunde liegt. Schon beim Stammbaum Jesu, wie Matthäus ihn erzählt, wird das aber kaum gelingen, denn darin finden sich die Verstrickungen und die Wandelbarkeit von menschlichem Zusammenleben auf engem Raum, sei es in den Erzelterngeschichten, sei es in den Königsgenerationen, sei es bei den vier Frauen im Stammbaum Jesu, deren Geschichten jedes katholische Frauenideal völllig sprengen.
Für den Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr wäre es auch denkbar, einfach das Weihnachtsfest nachklingen zu lassen und mit dem Ausblick auf den Jahreswechsel zu verknüpfen. Wenn das dann noch über den privaten Bereich hinausgeht, umso besser.
Zum Weiterlesen:
Irmtraud Fischer, Liebe, Laster, Lust und Leiden. Sexualität im Alten Testament, Stuttgart 2021.
Liv Strömquist, Der Ursprung der Welt, Berlin 2017.
Leonie Schöler, Beklaute Frauen, München 4. Auflage 2024.