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Wer ist eigentlich ein Apostel? (wiedergelesen/2025)

An den Sonntagen der Osterzeit gibt es keine ersttestamentliche Lesung, sondern die erste Lesung wird in einer durchgehenden Reihe aus der Apostelgeschichte entnommen. Die Ausschnitte sind natürlich kurz - und die Teile der Apostelgeschichte, in denen die ohnehin unterrepräsentierten Frauen vorkommen, gehören nicht zu den sonntäglichen Lesungstexten. Maria, die Mutter Jesu, Saphira, Tabita, Maria, die Mutter des Johannes, Lydia aus Thyatira, in deren Haus in Philippi die dortige Gemeinde der Jesusgläubigen entsteht, Damaris aus Athen, Priszilla, Drusilla, Berenike - sie kommen also im Sonntagsgottesdienst nicht vor. Maria von Magdala braucht von den Redakteuren der Leseordnung nicht weggelassen zu werden, hat  in der Apostelgeschichte ohnehin keinen Part.

Zwar bemüht sich Lukas, der Autor der Apostelgeschichte, ein literarisches Gleichgewicht herzustellen, indem er Erzählkreise jeweils paarweise als Männer- und als Frauengeschichten anordnet. Aber wenn dann ausschließlich die Männergeschichten vorgetragen werden, hat das natürlich Folgen für die Wahrnehmung. Dass die Geschichten der Frauen im Schatten der großen Männer bleiben, ist zwar nicht im Sinne des Lukas, aber völlig unabhängig von ihm geschieht das auch nicht, denn auch wenn er ein Gleichgewicht anstrebt, so verschwinden doch die Frauen in den männlichen Sprachformen. Bei jeder Szene, in der eine Menge anwesend ist, ist davon auszugehen, dass diese Menge Kinder, Frauen und Männer umfasste, aber ausdrücklich wird das nur, wenn es etwas Besonderes zu erwähnen gibt - bei Konfliktsituationen oder wenn sie als Führungsfiguren so bekannt sind, dass sie nicht unerwähnt bleiben können, ohne die Glaubwürdigkeit des Erzählten zu gefährden.

Wenn wir nun die ausgewählten Sonntagslesungen hören, die nur den Männer-Erzählkreisen entnommen sind, und in den dabei öfter vorkommenden Menschenmengen die Frauen in den männlichen Sprachformen untergehen, dann entsteht das Bild einer Kirche, die als tragende Säulen nur Männer kennt. Es ist also hohe Zeit, noch einmal zu fragen, was oder wer denn eigentlich ein Apostel ist. Das Neue Testament kennt darauf nur von der Wortbedeutung her eine eindeutige Antwort: Das griechische Verb „apostelein“ heißt „senden“, und so verwendet das Neue Testament auch das zugehörige Nomen: Gesandte, Gesandter. Das Adjektiv „apostolisch“ kennt das Neue Testament noch nicht.

 Paulus spricht von den „Gesandten“ als denjenigen, die aus einer Begegnung mit dem Auferstandenen heraus zu Zeuginnen und Zeugen, und Missionarinnen und Missionaren wurden, und reiht sich selbst als letzten hierbei ein. Die Berufung der unmittelbar vom Auferstandenen Gesandten lässt sich in diesem Verständnis auch nicht an spätere Generationen weitergeben, sondern diese einzigartige Funktion stirbt mit der ersten Generation der Christusgläubigen. Wenn Paulus von „Aposteln“ schreibt, dann geht es häufig recht praktisch um das „Apostelrecht“ der unstet lebenden Wandermissionarinnen und Wandermissionaren auf Beherbergung.

In der Apostelgeschichte werden die Apostel hingegen mit den „Zwölf“ identifiziert, wobei es nichts ausmacht, dass nicht alle auch zu den „zwölf Jüngern“ gehörten, sondern nach dem Ausscheiden des Judas Iskariot Matthias nachgewählt wurde, ohne dadurch nur ein „Ersatzapostel“ zu sein. Lukas geht es nicht um das Apostelrecht, sondern um eine theologische Geschichtskonzeption: Die Gruppe der „zwölf Apostel“ – wie gesagt, in den Augen anderer Akteure, zum Beispiel des Paulus, gab es deutlich mehr als zwölf Apostel - garantiert die Zuverlässigkeit des Glaubens über kritische Wendepunkte hinweg, von der Auferstehung bis zur Himmelfahrt, von der Erfahrung der Geisttaufe bis zur Ausbreitung des Christusglaubens in die nichtjüdische Welt. Dabei spielt auch die kulturelle Erwartungshaltung des Lesepublikums eine Rolle, das als glaubwürdige Zeugen etwa vor Gericht nur Männer kennt. Damit verliert das Zeugnis der Frauen nochmals an Gewicht: Schon die Zeuginnenschaft der Frauen bei Jesu Hinrichtung wurde bei Lukas zu einem entfernten Zuschauen zusammen mit einer Gruppe von „Bekannten Jesu“. Das Versagen der Männer im Umfeld Jesu wurde so deutlich abgemildert, im Gegenzug werden die herausragenden Rollen der Frauen kleiner geschrieben.

Die "Apostel" bei Lukas sind nicht identisch mit Jesu Jügerinnen und Jünger, deren Kreis ist deutlich größer. Was die „Apostel“ bei Lukas auch nicht sind: eine Hierarchiestufe in einer kirchlichamtlichen Organisation. Die Apostel lösen Konflikte mit gleichberechtigten anderen Kräften in der entstehenden Glaubensgemeinschaft im spirituell genährten Gespräch, etwa mit den "Sieben" oder mit den "Ältesten". Sie sind nur ein Teil einer geschwisterlichen Gemeinde, die aus Frauen und Männern besteht und in der das Apostolat kein Amt ist, sondern nur für die Übergänge in den ersten Etappen der Gemeindewerdung benötigt wird.

Wenn die Apostelgeschichte nun so gelesen wird, als wären die Zwölf, die Apostel und die Jünger Jesu (Jüngerinnen, wie gesagt, verschwinden in den männlichen Sprachformen) identisch und zugleich die ersten Amtsträger in einer kontinuierlichen Ämterentwicklung, dann bekommt die endzeitliche Zeichenhandlung Jesu, mit den "Zwölf" das "Neue Israel" zu symbolisieren, eine Funktionalität, die nicht aus Jesu Leben, nicht aus Jesu Umgang mit Menschen verschiedener Geschlechter, nicht aus seinem Sterben und nicht aus den ersten Erfahrungen seiner Lebendigkeit folgt. Bis heute setzt sie sich fort in der Annahme, er hätte eben nur Männer berufen.

So entsteht das inzwischen unzählige Male reproduzierte Bild eines kirchlichen Amtes, das auf von Jesus erwählte „zwölf Jünger“ zurückgeht, die dann zu den zwölf Aposteln wurden und zugleich auch die ersten Bischöfe waren, deren Amt dann durch Handauflegung ungebrochen weitergegeben wurde. In diesem – hoch fiktiven – Gesamtkonzept haben die Frauen keinen Platz, obwohl Jesus auch Freundinnen hatte, eine Frau sein Lieblingsmensch war, obwohl ein Sedermahl nicht ohne Frauen funktioniert, trotz der Zeuginnenschaft der Frauen am Ostermorgen, trotz der überlieferten starken Rolle, die Frauen in den Gemeinden der Jesusgläubigen spielten. Es ist Zeit für eine Wiederentdeckung.