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Weihetag der Lateranbasilika // zum Fest

Am 9. November feiert die katholische Kirche den Weihetag der Lateranbasilika. Die Lateranbasilika ist die Kathedrale des Erzbistums Rom und die ranghöchste der vier Basilicae maiores oder Papstbasiliken Roms. Eine Basilika hat auch sprachlich nichts mit dem Basilisken aus Harry Potter zu tun, sondern bezeichnet eigentlich eine Bauform, nämlich ein mehrschiffiges Gebäude mit halbrunden Apsiden als Abschluss. Bevor diese Bauform mit christlichen Kirchen identifiziert wurde, stand der Begriff für die Form einer antiken Markthalle, die vom Christentum als dezidiert städtischer Religion aufgegriffen wurde. Eine Basilika ist also erstmal ein nüchterner Begriff für eine antike Shopping-Mall.

Der Name "Lateran" hat ebenfalls keinen religiösen Ursprung. Das Gelände, auf dem auch der Lateranpalast gebaut wurde, ist nach der Familie des Plautilus Lateranus benannt, der das Areal gehörte, bis Kaiser Nero das Grundstück und alle Bauten darauf konfiszierte, weil Plautilus an einer Verschwörung beteiligt gewesen sein soll. Kaiser Konstantin ließ dann nach seinem Sieg gegen Maxentius im Jahre 312 die dort befindlichen Gebäude schleifen und eine Basilika bauen - keine Shopping-Mall, sondern eine Kirche. Der dazugehörige Palast war dann lange Residenz der Päpste und die Basilika die wichtigste Kirche des westlichen Christentums, bis der Vatikan ihr den Rang ablief, allerdings nie formell. Den formell höchsten Rang der katholischen Kirchen bekleidet weiterhin diese "Erzbasilika des allerheiligsten Erlösers, der heiligen Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten im Lateran", die den Titel "Mutter und Haupt aller Kirchen des Erdkreises" trägt, kurz Lateranbasilika.

Geschichte, Funktion und Repräsentation dieser Kirche stehen für und sakralisieren eine patriarchale Kirche und die Macht, die sie beansprucht, inklusive ihrer sexistischen Ausschlüsse, die ihre Geschichte begleiten und prägen. Tatsächlich hat der Weihetag dieses Kirchenbaus im römisch-katholischen Festkalender - dem Herrenjahr - den Rang eines Herrenfestes inne. Das heißt, es ist ein Fest, das, wenn es auf einen Sonntag fällt, diesen verdrängt: Trumpf im Jahreskreis-Quartett. Als "Herrenfeste" gelten Feste, die die Bedeutung Jesu Christi entfalten: seine Geburt, sein Sterben und Auferstehen, seine Himmelfahrt, die Sendung seiner Geistkraft, seine Gegenwärtigkeit in der Eucharistie... Wenn der Weihetags der Lateranbasilika als Herrenfest qualifiziert wird, dann weil die Kirche, die dieses Fest feiert, sich als die Gestalt versteht, in der Jesus Christus in der Welt gegenwärtig ist. In dieser Gestalt aber sind die relevanten Akteure Männer, was die Lateranbasilika gut veranschaulicht. Männer bauen Kirchen, Männer weihen Kirchen, Männer weihen Männer in geweihten Kirchen, geweihte Männer lehren in Kirchen und werden in geweihten Kirchen bestattet, die Nachfolger sprechen die verstorbenen Vorgänger fix heilig - auch in geweihten Kirchen -, entziehen deren Biographien so der kritischen Würdigung und bekommen als Nachfolger eines heiliggesprochenen Vorgängers ein wenig von dessen Unkritisierbarkeit ab... Es mag sich die Frage stellen, wie viele blinde Flecke nötig sind, um im Evangelium keinen Widerspruch gegen so eine institutionalisierte männliche Macht- und Prachtentfaltung mehr wahrzunehmen.

Man kann dieses Fest für eine heute relativ harmlose katholische Eigenart halten, so wie jede Konfession und jede Religion ihre seltsamen, heute ein wenig aus der Zeit gefallenen Aspekte hat. Die Harmlosigkeit ist natürlich relativ; denn wo spiritueller oder sexueller Missbrauch in diesen Ermöglichungsstrukturen geschieht, ist es mit der Harmlosigkeit schnell vorbei. Es kommt jedoch noch hinzu: Am Fest des Weihetags der Lateranbasilika ist als Evangelium ein Abschnitt aus dem Johannesevangelium vorgeschrieben, nämlich aus dem 2. Kapitel die Verse 13-22, in denen Jesu Vollmacht über den Tempel thematisiert wird. Es entbehrt dabei nicht der Ironie, dass Jesus hier ausgerechnet die Degradierung des Tempels zu einem Kaufhaus anprangert, während später aus Kaufhaus-Architektur die christlichen Kirchen werden:

Und das jüdische Pessachfest war nahe, da ging Jesus hinauf nach Jerusalem. Er fand im Tempel Leute sitzen, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften und welche, die Geld wechselten. Da machte er eine Peitsche aus Seilen und warf sie alle hinaus aus dem Heiligtum, auch die Schafe und die Rinder, und er schüttete die Münzen derer aus, die Geld wechselten, und warf die Tische um, und zu denen, die die Tauben verkauften, sagte er: »Schafft dies raus hier! Macht das Haus Gottes nicht zu einem Kaufhaus!« Seine Jüngerinnen und Jünger erinnerten sich, dass geschrieben ist: ›Die Leidenschaft für dein Haus wird mich verzehren.‹ Die jüdische Obrigkeit antwortete und sagte ihm: »Was für ein Wunderzeichen zeigst du uns, dass du dies tun darfst?« Jesus antwortete und sagte ihnen: »Zerstört diesen Tempel, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten.« Da sagte die jüdische Obrigkeit: »46 Jahre lang ist an diesem Tempel gebaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?« Jener aber hatte über den Tempel seines Körpers gesprochen. Als er nun von den Toten auferweckt worden war, erinnerten sich seine Jüngerinnen und Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.

(Johannesevangelium, Kapitel 2, Verse 13-22)

Die "Bibel in gerechter Sprache", die ich hier verwende, überträgt "jüdische Obrigkeit", wo im Text "die Juden" steht, um "Jesu Feinde" vom jüdischen Volk zu unterscheiden. Das ist eine Übersetzungsentscheidung, die versucht, zu differenzieren und die negative Verwendung des Begriffs "die Juden" zu meiden, indem sie ihn überall dort, wo er im Evangelium negativ verwendet wird, durch "die jüdische Obrigkeit" oder "die jüdische Autorität" ersetzt. Das ist ein legitimer Versuch, mit der Schwierigkeit dieser Wortverwendung umzugehen. Allerdings steht ihm entgegen, dass das Evangelium selbst sprachlich differenziert: Es verwendet nämlich überall, wo von jüdischen Menschen in positiver Weise gesprochen wird, den Begriff "Israelit", "israelitisch" oder "Israel". Dass das Johannesevangelium indes selber eine Schrift ist, die intensiv aus jüdischen Quellen schöpft, zeigt sich hier an der Wendung "sie glaubten der Schrift": Diese Schrift ist das Erste Testament. Das Johannesevangelium zeigt zudem seine Nähe zum entstehenden Judentum durch seine "zahlreiche[n] Parallelen zu Quellen aus der Zeit des Zweiten Tempels und der Rabbinen"[1]. Es macht aber die Frage, ob jemand noch zu Gottes Bund gehört, davon abhängig, ob jemand an Jesus glaubt. Und es zieht hier eine Grenze, um die Gräben zwischen den Gruppierungen auf der eigenen Seite, bestehend aus jüdischen, samaritanischen und heidnischen Menschen, zu schließen. 

Darum ist das Johannesevangelium auch eine Schrift, deren ungefilterte und ungehemmte antijüdische Aussagen die christliche Lektüre heute vor eine enorme Herausforderung stellen. Damals war das ein "Selbstvergewisserungsprozess" [2], der aber Bilder hervorgebracht hat wie das von den Juden als Kindern des Teufels (Joh 8,44), aus deren sprachlicher Gewalt im Laufe der Geschichte so viel tödliche Gewalt geworden ist. Der entsetzliche Höhepunkt dieser Gewalt, die Schoa, entsprang dem rassistischen Antisemitismus des Nationalsozialismus, der seinerseits nicht ohne diese lange Gewalt- und Ausgrenzungstradition denkbar ist. Die Novemberpogrome von 1938 bildeten nach unzähligen Ausgrenzungen und Diskriminierungen durch Gesetze und Verordungen den Auftakt für die physische Gewalt, mit der jüdisches Leben ausgelöscht werden sollte, und das schlimmste dieser Pogrome wurde am 9. November 1938 in allen Teilen des Deutschen Reiches verübt. 

Auch wenn die vorgegebene Perikope aus dem Johannesevangelium "die Juden" bzwl "die jüdische Obrigkeit" hier "nur" als unverständig und ungläubig vorstellt: Dass diese Perikope am 9. November in christlichen Kirchen vorgetragen wird, an dem Tag, an dem 1938 so viele Synagogen geplündert, zerstört und abgebrannt wurden, ist schwer erträglich. Selbst wenn man an dem Fest festhalten möchte, weil man alles, wofür es steht, bejaht: Mindestens auf nationaler Ebene müsste die Wachsamkeit so weit gehen, dass die Deutsche Bischofskonferenz hier eine Ersetzung des Evangeliums hätte vorschlagen sollen.  

[1]  Adele Reinhartz, Das Evangelium nach Johannes, in: Wolfgang Kraus u.a. (Hrsg.), Das Neue Testament jüdisch erklärt, Stuttgart 2021, 180.
[2]  Ebd, 185.

Zum Weiterlesen sehr empfohlen: Wolfgang Kraus u.a. (Hrsg.), Das Neue Testament jüdisch erklärt, Stuttgart 2021.