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Pfingsten // Die Heilige Geistkraft

Wer oder was wird gefeiert, wenn der Heilige Geist gefeiert wird? Er ist das Aschenputtel der Trinität, unter dem sich die meisten nichts so recht vorstellen können, wird als letztes genannt und fällt dafür als erstes hintenüber. Wir sprechen von Gott in Bildern: Wie die Rede von Gott, wie ein Vater, und Gott, erfahrbar im Sohn, ist auch die Nennung des Heiligen Geistes ein Bild für Gott, allerdings mehr ein Sprachbild, näherhin eigentlich ein Hörbild, oder auch ein Erfahrungsbild.

Im Hebräischen ist das Wort für Geist רוח – Ruach. Und während der Geist im Lateinischen wie im Deutschen männlich und im Griechischen neutral ist, erscheint das Wort Ruach im Hebräischen manchmal als männlich, meistens jedoch weiblich. Es ist ein lautmalerisches Wort für eine Luftbewegung, die man hören kann, sei es beim menschlichen Atem oder in der Natur, jeweils das Gegenteil vom unhörbaren, stillen Atem oder dem lauen Lüftchen.

Ein näherer Blick ist aufschlussreich: männlich erscheint Ruach im biblischen Text nämlich nur, wenn es um ein ausschließliches Naturphänomen geht, um Sturm und Wind. Sobald eine symbolische Ebene dazukommt, also sobald das Wort auch auf Gott hin gebraucht wird, für Gottes Lebensatmen, der die Schöpfung durchwirkt und lebendig macht, für Gottes Gegenwärtigkeit, dann steht mit weiblichen Verbformen. Darum wird vielfach mittlerweile von „der Geistkraft“ oder „der Geisteskraft“ gesprochen, um im Deutschen ansatzweise diese weibliche Form nachzubilden. Dass Ruach, auf Gott hin verwendet, ein weibliches Wort ist, stellte Hebraisten des 19. Jahrhunderts vor Rätsel, wird aber einsichtig, wenn man eine enge Wortverwandtschaft berücksichtigt.

In der hebräischen Schriftsprache sind die Buchstaben nämlich fast ausschließlich Konsonanten, und die Vokale kommen nur durch die zusätzliche Punktierung hinzu, die unter den Buchstaben notiert wird. Einen Buchstaben aber gibt es, der sowohl Konsonant als auch Vokal sein kann, und zwar das Waw, das in der Mitte des Wortes „Ruach“ steht. Dieses kann, als Vokal verwendet, U oder O lauten, als Konsonant verwendet ist es ein W. Das Wort רוח – gebildet aus den Buchstaben Resch (R), Waw und Chet (Ch) – kann also zwei verschiedene Vokabeln bedeuten, die im unpunktierten hebräischen Text aber gleich aussehen: Ruach, die Geistkraft, oder, nach einer Lautverschiebung,  Räwach, die Weite.

Der laute Atem, der Weite schafft: Dafür gibt es prominente Erfahrungsorte im menschlichen Leben, nämlich beim Sex, unter der Geburt und – nicht immer, aber oft – beim Sterben. Wo es so existenziell wird, ist der schöpferische Lebensatem Gottes am Werk, und das sind zugleich die Situationen des Menschseins, in denen wir uns nicht selbst haben, sondern uns überlassen müssen, und wo wir fundamental auf ein bergendes Umfeld angewiesen sind, das uns bewahrt. Diese machtvolle Kraft-zum-Leben ist alles andere als ein Aschenputtel, sondern eine Macht, die uns hinausruft in eine gigantische Lebendigkeitserfahrung, sie ist unvorhersehbar, gewaltig und wild, unbedingt und nicht zu begrenzen. Pfingsten ist das Fest dieser ungezähmten Lebenskraft.

Lieder zu Pfingsten:
Pfingstsequenz/Komm herab, o Lebenskraft
Pfingsthymnus/Komm Geistkraft, die das All belebt
Wo Gottes heil'ger Atem weht