
Palmsonntag B // Wer liest hier was?
Sowohl an Palmsonntag wie auch an Karfreitag wird in katholischen Gottesdiensten die Passion gelesen. Seit der letzten großen Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil liest man die Johannespassion am Karfreitag und am Palmsonntag im dreijährigen Wechsel die Passion aus den anderen drei Evangelien. Vor der letzten Liturgiereform wurde am Palmsonntag die Matthäuspassion gelesen bzw. gesungen, am Dienstag der Karwoche die Markuspassion, am Mittwoch Lukas und am Karfreitag die Johannespassion.
Die Johannespassion stellte damit in der aktualisierenden Erinnerung den Höhepunkt der Passionen dar. Sie war zur Kronzeugin einer triumphalistischen Theologie geworden, die das Judentum als verworfen angesehen hatte. Wer das Johannesevangelium verfasst hatte, verstand sich selbst noch als zugehörig zur jüdischen Religion, in einer Zeit, "in der das, was wir heute als Judentum kennen, sich auf höchst lebendige Weise neu aus den Traditionen Israels formierte." (Tobias Nicklas, Wibilex) Innerhalb dieser Religionsgemeinschaft traten sie in harte Konfrontationen mit den Gruppierungen, die sie nicht davon überzeugen konnten, in Jesus von Nazareth den Messias Gottes zu finden. Aus diesen harten Konfrontationen sind judenfeindliche Traditionen entstanden, die mit diesen Texten begründet wurden. Das ging umso überzeugender, je mehr das Wissen um die vielen Bezüge zur Hebräischen Bibel im Johannesevangelium mangels Kenntnis dieser Hebräischen Bibel verloren ging. Der so genährte Antijudaismus klebt am Johannesevangelium wie Kaugummi unterm Schuh, und die Johannespassion ist ausgesprochen erklärungsbedürftig, wenn der heute in der Regel mitgehörte, aber vom Text nicht intendierte Judenhass nicht fortgeschrieben werden soll.
Aus diesen Gründen und weil auf dem Konzil das Verhältnis der Kirche zum Judentum grundlegend neu gefasst wurde, gab es Forderungen danach, die Johannespassion am Karfreitag durch eine andere Passion zu ersetzen, das wurde aber nicht umgesetzt. Schon 1955 war die Karwochenliturgie entschlackt und nachvollziehbarer gemacht worden: Vorher war tatsächlich die Auferstehungsfeier bereits am Morgen des Karsamstags, das Fasten endete aber erst am Mittag. Die Gottesdienste der Woche fanden alle morgens statt, aber weitgehend ohne Volk, für das die Kartage auch keine gebotenen Feiertage waren. Wer das noch live erleben möchte, kann das noch tun: In der Grabeskirche in Jerusalem gilt diese Ordnung unverändert fort, weil sie im status quo so festgeschrieben ist, der die Kirchennutzung der zahlreichen involvierten Konfessionen fein austariert und nicht geändert wurde, nur weil die römisch-katholische Kirche ihre Gottesdienstordnung umgestellt hatte. Im Zuge der Überarbeitung der Karwochenliturgie durch Pius XII. in den 1950-er Jahren nun bekam der Palmsonntag mit der Prozession eine königlichere Form, zuvor dominierte hier der Bußcharakter. Sowohl vor als nach dem Konzil scheute man aber davor zurück, die Passion ganz vom Palmsonntag abzuziehen und ausschließlich am Karfreitag zu lesen, wobei dann auch die ausschließliche Besetzung des Karfreitags mit dem Johannesevangelium zur Disposition gestanden hätte. Heute ist das Lesen der Passion am Palmsonntag gerade in ökumenischer Zusammenarbeit oft schwer verständlich.
In der Regel wird die Passion jeweils mit verteilten Rollen gelesen. Vielfach wird, wenn ein Priester anwesend ist, dieser die Rolle Jesu lesen. Das ist eingeschliffen und ein katholischer Reflex nicht nur der Priester, sondern auch der beteiligten Lektorinnen und Lektoren und entspricht auch der Erwartungshaltung der Gemeinde: Wer sonst soll den Jesus lesen, wenn nicht der Priester? Vor der Liturgiereform durften nur Kleriker die Passion vortragen, davon scheint etwas haften geblieben zu sein: Es scheint so gut zu passen. Damit aber wird der Priester stark mit Jesus identifiziert, was sowohl für das Selbstverständnis der Gemeinde als auch unter Gesichtspunkten von möglicherweise ungesundem Umgang mit (geistlicher) Macht problematisch ist. Neben der fatalen Überhöhung des Priesterbildes ist eine weitere Konsequenz dieser Gewohnheit, dass das sogenannte „allgemeine Priestertum der Gläubigen“ weitgehend Theorie bleibt. Dabei liegt ausgerechnet dieser Lesegewohnheit keine Vorschrift zugrunde – der Verdacht drängt sich auf, dass dies daran liegen könnte, dass es so klar ist, dass der Priester den Jesus spricht, dass es nicht geregelt wurde – aber wie auch immer, es ist eben keine Vorgabe.
Wie wäre es, wenn die "Rolle" Jesu von verschiedenen Menschen gesprochen würde? Wenn so hörbar würde, dass es keine Unterschiede in der Taufe gibt, und dass Jesus uns heute in vielen Stimmen und Gesichtern begegnet? Wenn es die Stimmen von diskriminierten Menschen wären, nicht von denen, die ohnehin gut zu Wort kommen? Eine Alternative zum Lesen in verteilten Rollen, das nicht immer gut gelingt, ist, den Text in Blöcke aufzuteilen und jeweils einen ganzen Block von einer Person lesen zu lassen, so aber dennoch verschiedene Stimmen zu hören.
In Gottesdiensten, in denen die Passion gelesen wird, ist die Anrede Gottes mit nichtmännlichen Bildern umso wertvoller und wichtiger, weil in den vorgeschlagenen Texten häufig ein theologisch längst verabschiedetes Bild vom zornigen Gott aufgerufen wird, der nur durch den Kreuzestod Jesu dazu zu bewegen ist, sich der Menschheit wieder gnädig zuzuwenden. Damit wird der Foltertod Jesu zugleich bagatellisiert: Denn das „für uns“ z.B. des Schmerzhaften Rosenkranzes lässt sich nur ohne Ekel beten, wenn Schmerz und Leid nicht erfasst werden, etwa die in die Kreuzigung gewöhnlich integrierte sexuelle Gewalt. Aber leider werden gerade an den Hochfesten, an denen christlicher Glaube am intensivsten gefeiert wird, Texte vorgeschlagen, die ein ausgesprochen problematisches Gottesbild, einen ungebrochenen Vorsehungsglauben und eine inhumane Opfertheologie transportieren. Hier ist liturgische Verantwortung gefragt.
Zu den Texten von "Gotteswort, weiblich" für die Heilige Woche
Gotteswort, weiblich auf facebook
Gotteswort, weiblich auf Instagram