Osternacht - Predigt zum Markusevangelium (2024)

Wenn all das, was vor dir liegt, auf einmal nen Sinn ergibt”: Dann ist Ostern. Ostern zum Sich-hinein-Singen, zum Sich-Vortasten, zum Aufatmen. Das ist das Licht, das sich erst allmählich in der Kirche ausbreitet, zart und behutsam. Das ist eine Hoffnung auf leisen Sohlen, und auf einmal öffnet sich dann doch ein überwältigend weiter Horizont. Auf einmal öffnet sich vor uns eine unfassbare Freiheit und Weite, in der wir gehalten sind von Gottes Gegenwart. Dann stehen wir auf einem Grund, von dem wir mit intuitiver Gewissheit wissen, dass er trägt, dass er hält. Vielleicht spüren wir das nur für einen Moment, aber was dann von diesem Moment bleibt, ist die unverrückbare Gewissheit, dass es ihn gegeben hat.

Das ist eine Hoffnung auf leisen Sohlen, denn der Karfreitag steht für alles, was eben nicht einfach wieder gut werden kann. Die Schrecken waren zu groß, die Gewalt zu vernichtend, die Ausweglosigkeit zu überwältigend. Das alles ist ja nicht auf einmal weg. Danach nicht nur weiterzuleben, sondern eine neue Erfahrung zu machen mit dem Leben, das trägt, das ist total mutig, lebensmutig, das ist etwas, was man nicht erklären kann, das geschenkt wird, das verdankt ist. Davon sprechen die Ostererzählungen.

Und wie für die Gewalt auch [die Passionstexte bleiben bei der Gewalt sehr knapp und verwenden nur Stichwörter] verwenden sie Chiffren, um in Worte zu fassen, was kaum sagbar ist, wovon das Herz wohl überfließt, wo Menschen gepackt werden von Gottes großer Lebensmacht. So ist das, wenn man etwas Heiligem begegnet: Furcht und Zurückschrecken und tiefes Glück, ganz und gar gemeint und innerlich beteiligt sein und das alles so, dass es völlig fraglos ist. Ihr merkt, wie schwierig es ist, das in Worte zu fassen, was sich da erschließt vom Geheimnis vom Tod und vom Leben und Gott hinter allem, “wenn all das, was vor dir liegt, auf einmal nen Sinn ergibt”. Und weil das so schwierig auszudrücken ist und weil man dann immer Gefahr läuft, nur noch große, hohle Worte zu verwenden, darum kommen die Ostererfahrungen in Geschichten zu uns, mit Chiffren wie "da war ein Engel" oder "das Grab war leer" und die bekannteste: "Christus ist auferstanden".

Eben während des Bibel-Wort-Gewebes [im ersten Teil des Gottesdienstes] haben sich die Hoffnungen der Hebräischen Bibel mit der Passion aus dem Markusevangelium verwoben. Sie sprechen von Gottes Schöpfungsmacht, von Befreiung, von Heilwerden mit den offenen Fragen und allem, worauf es keine Antwort gibt. Und darum hab ich die Ostergeschichte aus dem Markusevangelium mitgebracht, eine der ältesten Ostergeschichten überhaupt.

Die Frauen, die dabei gewesen waren, als Jesus starb, sie gehen nun nach dem Schabbat zum Grab, um die Beerdigungsrituale an Jesus zu vollziehen und ihn, der als Ausgestoßener gestorben war, so wieder in die Gemeinschaft hineinzuholen. In so ein Grab, eine Höhle im Fels geht man nicht forschen Schrittes hinein. Denn je größer der Eingang, desto schwieriger ist das Grab zu verschließen, aber es muss verschlossen sein, um die Toten vor den wilden Tieren zu schützen. Der Eingang ist also klein, es ist eng, es ist dunkel, da muss man sich bücken und sich durchmühen, sich vorantasten mit vorsichtigen Schritten.

Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, die Maria des Jakobus und Salome duftende Öle, um zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Sehr früh am Sonntag gingen sie zum Grab, als die Sonne gerade aufging. Da sagten sie zueinander: »Wer wird uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?« Doch als sie aufschauten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war. Dabei war er sehr groß. Und als sie ins Grab hineingingen, sahen sie auf der rechten Seite eine jünglingshafte Gestalt sitzen, die ein strahlend helles Gewand trug. Da erzitterten sie vor Ehrfurcht. Die Gestalt sagte zu ihnen: »Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus aus Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist von den Toten auferweckt worden, er ist nicht hier; seht den Ort, wo sie ihn hingelegt hatten. Nun aber geht hin, sagt seinen Jüngerinnen und Jüngern, auch dem Petrus: Er geht euch nach Galiläa voraus; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.« Und die Frauen gingen hinaus und flohen von dem Grab, denn sie waren außer sich vor Zittern und Ekstase. Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.” (Mk 16, Bibel in gerechter Sprache)

Das war ursprünglich der Schluss des Markusevangeliums: “Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.” Weil das ja nun etwas abrupt wirkt und mit Schrecken endet, wurden später noch zweimal weitere Schlüsse angefügt, in denen dann noch geschildert wird, wie die Jüngerinnen und Jünger den Glauben an Jesus den Lebendigen in die Welt trugen. Aber erstmal ist das eben so, und ich finde das total verständlich. Der Karfreitag ist ja gerade erst vorbei. Und das, was die Frauen da erfahren, das ist nicht nur Freude. Das ist auch ein Erschrecken vor der Macht des Lebens. Ekstase ist beides - Furcht und Glück.

“Ekstasis” steht da im griechischen Text, und die Bibel in gerechter Sprache hat es dabei belassen und das Wort "Ekstase" benutzt. Wenn es aber übersetzt wird, dann wird es gewöhnlich mit einem Geschlechtervorurteil übertragen: Handelt es sich um Männer, wird es auf Deutsch mit "Begeisterung" wiedergegeben. Geht es um Frauen, heißt es auf Deutsch "Furcht". Das ist nicht nur total ärgerlich, sondern auch unvollständig. Zur menschlichen Erfahrung gehört selbstverständlich beides, und in der Erfahrung mit Gott-der-Heiligen eben auch beides gleichzeitig, Furcht und Glück.

Mit der Ostergeschichte von den Frauen, die von Furcht und Glück gepackt wurden, wird erzählbar, wie die ersten Jesusgläubigen durchgeschüttelt wurden von ihrer Ostererfahrung, sei es innerhalb weniger Tage gewesen, sei es ein längerer Prozess gewesen, und er begann bei den Frauen, den Freundinnen Jesu. Von der entsetzlichen Einsamkeit des Karfreitags hin zu der Ahnung, dass das nicht alles war, dass da noch mehr ist. Wie sie das genau erfahren haben, das wissen wir heute nicht. Es ist vermutlich auch nicht so wichtig.

Vielleicht haben sie in der Fürsorge dem toten Jesus gegenüber Gottes große Zärtlichkeit gespürt. Vielleicht haben sie Jesu Gegenwart gespürt, als sie mit seinen Worten das Brot und den Wein teilten, und dabei auch gespürt, dass das das gleiche war, seine Gegenwart und die Gegenwart Gottes, die alles bewahrt. Vielleicht haben sie im Erzählen seiner Geschichten gemerkt, wie unmittelbar er aus Gottvertrauen gelebt hatte, und sich dem gleichen Vertrauen überlassen. Vielleicht haben sie erlebt, dass die Erfahrungen, die sie mit ihm vor dem Karfreitag gemacht hatten, sie weitertrugen: Die Erfahrung, satt zu werden, die Erfahrung, heil zu werden, die Erfahrung, dass es genug für alle gibt, die Erfahrung, dass Schuld vergeben werden kann, und in dem allen: die Erfahrung, dass Gewalt und Vernichtung nicht das letzte Wort haben.

Aus dem allen sind die Ostergeschichten geworden, denn so eine intensive Lebenserfahrung, Heilserfahrung, Heiligkeitserfahrung braucht eine Geschichte, um mitteilbar zu werden. Sonst werden daraus zu leicht große, hohle Worte. Die Geschichte aber macht die Erfahrung nachvollziehbar. Und sie sagt auch: Zugang zu dieser Erfahrung hat, wer sich um andere sorgt und solidarisch bleibt.

Diese Geschichte wird vom Evangelisten Markus hier absichtlich downgegradet: So bescheiden wie möglich kommt sie daher. Kein Donner, kein strahlender Engel, sondern eine Gestalt wie einer der jüdischen Märtyrer: Jemand, der weiß, dass es Dinge gibt, für die es sich zu sterben und zu leben lohnt, und dass ihn das nicht trennen kann von der Liebe Gottes, die alles erschaffen hat, was ist, und alles im Dasein hält und bewahrt. Nicht der sofortige Jubel ist die Folge, sondern das Zurückschrecken. Denn auch der Friede und das Glück kommen nur langsam in der so verwundeten Seele an. Es braucht Zeit, um wieder Zutrauen zu fassen. Aber dieses Zutrauen ist berechtigt, da geht es nicht hinter zurück: Gott ist größer als die Gewalt, und niemand sonst hat das letzte Wort. Gott bewahrt alles Leben so, dass nichts verloren geht.

So einfach ist das. So einfach und so schwer zu fassen, denn es ist eben kein banales Alles-wieder-gut, sondern die tragende Erfahrung durch den Karfreitag hindurch, eine Erfahrung der Weite Gottes, zärtlich und zugewandt, die alles Leben bewahrt. Das ist Ostern, eine Hoffnung auf leisen Sohlen, eine Erfahrung in Chiffren und Geschichten, wenn sich uns etwas erschließt vom Leben, das uns trägt, “wenn all das, was vor dir liegt, auf einmal nen Sinn ergibt”. Das ist Ostern: Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden - halleluja.