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Osternacht - Predigt zum Evangelium nach Markus

Dies ist der Tag, den Gott gemacht hat.

Die Sonne geht auf wie immer. Auch über dem alten, aufgegebenen Steinbruch, den das Leben sich allmählich zurückerobert, der wieder zu einem Garten wird. Hier ist die Grabhöhle, die Josef von Arimatäa gehörte und in der er Jesus in aller Eile hatte bestatten lassen. Man sieht dem Gelände die Gewalt noch an, mit der hier die Steine geschlagen worden waren, aus dem Felsmassiv heraus. Und doch ist es wieder ein Ort, wo etwas lebt. Davon erzählt der Evangelist Markus:

Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, die Maria des Jakobus und Salome duftende Öle, um zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Sehr früh am Sonntag gingen sie zum Grab, als die Sonne gerade aufging. Da sagten sie zueinander: »Wer wird uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?« Doch als sie aufschauten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war. Dabei war er sehr groß. Und als sie ins Grab hineingingen, sahen sie auf der rechten Seite eine jünglingshafte Gestalt sitzen, die ein strahlend helles Gewand trug. Da erzitterten sie vor Ehrfurcht. Die Gestalt sagte zu ihnen: »Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus aus Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist von den Toten auferweckt worden, er ist nicht hier; seht den Ort, wo sie ihn hingelegt hatten. Nun aber geht hin, sagt seinen Jüngerinnen und Jüngern, auch dem Petrus: Er geht euch nach Galiläa voraus; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.« Und die Frauen gingen hinaus und flohen von dem Grab, denn sie waren außer sich vor Zittern und Ekstase. Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.

(Markusevangelium, Kapite 16, Verse 1-8)

Wie das geht mit dem Leben, davon schreibt Markus nur sehr zurückhaltend: Kein Held hat hier gesiegt, das Grab ist nicht aufgesprengt worden, es gab kein Erdbeben und kein Feuer vom Himmel. Nur das sagt die Gestalt, die die Frauen im Grab sehen: Er ist nicht hier. In der Bibelübersetzung eben hieß es: Er wurde aufgeweckt. Ganz wörtlich müsste man übersetzen: Er wurde aufgestanden. Wir verwenden im Deutschen ein Sonderwort, um auszudrücken, was mit dem Leben nach dem Sterben geschieht: Auferstehen, und oft genug klingt das nach einem Tun aus eigener Kraft.  Aber die Toten stehen nicht aus eigener Kraft auf. Im Sterben ist das Leben darauf angewiesen, bewahrt zu werden, so wie bei einer Geburt auch. Und an wem das geschieht, die ist eine Aufgeweckte, der ist ein Aufgestandener, ein Aufgestanden-Wordener.

Sprachlich ist das sehr bescheiden. Es gibt im neutestamentlichen Griechisch diese Sondervokabel „auferstehen“ schlicht nicht. Wer schläft, wird aufgeweckt. Wer tot am Boden liegt, wird aufgestanden, mit einem im Deutschen unmöglichen Passiv. Das ist das gleiche Wort, denn es geht nicht um etwas, was mit unserer Welt nichts mehr zu tun hat, eine Besserwelt am Ende als happy end. Ganz im Gegenteil, das ist eine Botschaft gerade für eine Welt, in der einer Angst und Bange werden kann. Ich habe beim Vorbereiten gedacht, dass es schöner wäre, euch jetzt hier die pure Freude zu zünden: In Ewigkeit ist alles gut. Es wäre möglich, weil ich glaube, dass das stimmt, dass wir wirklich darauf vertrauen dürfen: In Ewigkeit ist alles gut. Aber wenn ich auf unsere Welt derzeit schaue, dann bin ich sehr dankbar dafür, dass der Glaube an Jesus kein Sonderglaube nur für die guten Zeiten ist. Der Glaube an Jesus wurde für uns weitererzählt, für unsere Zeit, damit wir da durchkommen, in dieser Welt, in der einer Angst und Bange werden kann, die aus den Fugen gerät, in einer Geschichte, die für so viele gerade zum Alptraum ohne Aufwachen wird. Für so eine Welt schreibt Markus, und darum nehme ich euch jetzt ein bisschen tiefer mit ins Markusevangelium.

Das wird jetzt ein klein wenig komplex, aber keine Angst, wir kriegen das sortiert. Es ist nämlich unfassbar mutig, was Markus da schreibt, auch wenn es so bescheiden klingt. Markus schrieb vom Gebet Jesu im Garten und von seinem Grab in den Felsenhöhlen vor Jerusalem, von denen alle wussten, dass sie in dem aufgelassenem Steinbruch lagen, der wieder zu einem Garten geworden war. Aber als Markus das schrieb, da gab es beide Gärten nicht mehr. Wer schon einmal in Jerusalem war: Die Olivenbäume im Garten Getsemani sind uralt, aber sie sind wohl kaum die gleichen, unter denen Jesus gebetet hatte. Denn als die Römer den jüdischen Aufstand, der sich im Jahr 66 nach Christus erhoben hatte, im Jahr 70 endgültig niederschlugen, da zerstörten sie nicht nur den Tempel von Jerusalem, sondern sie fällten in einem Umkreis von 15 Kilometern um Jerusalem herum auch alle Bäume und verwandelten das ohnehin karge Land in eine Todeswüste.

Ich erzähle euch das, weil genau in dieser Kriegshölle eine andere Geschichte aus dem Markusevangelium spielt, in der der Aufgestandene schon einmal zugegen war. Das ist die Geschichte vom Sturm auf dem See. Im Jahr 70 war der See Genezareth Schauplatz eines Kriegsverbrechens, einer Völkerkatastrophe. Von Magdala aus hatten sich tausende Aufständische in Booten auf dem See vor den römischen Truppen in Sicherheit gebracht. Aber das war keine wirkliche Rettung. Die Römer bauten Flöße und kamen hinterher, und wen sie nicht auf dem See töteten und wer nicht ertrunken war, auf die oder den warteten ebenfalls römische Truppen überall am Ufer des Sees und brachten ihn oder sie dann eben am Ufer um. 6500 Tote in wenigen Tagen, überall auf und im See und am Ufer die Wracks der Boote und die Leichen, das Wasser am Ufer rot vom Blut, und man kann sich leicht vorstellen, was für eine entsetzliche Hölle das in der Hitze des Tages dann wurde. Dieses Todesmeer hat Markus vor Augen, wenn er schreibt, dass Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden auf dem See unterwegs war, dass ein Sturm kam, er aber seelenruhig schlief, und sie ihn dann weckten und schrien, „Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Den sie wecken mussten, der hatte geschlafen wie ein Stein, geschlafen wie tot. Und als sie ihn geweckt hatten, da war er ein Aufgeweckter, ein Aufgestandener. Und von ihm schreibt Markus: Der Aufgestandene drohte dem Wind, und es kehrte Stille ein, und in diese Stille hinein fragte er sie: Warum habt ihr solche Angst?

Wenn nun ganz am Ende des Evangeliums, nach seinem schrecklichen Tod, wieder vom Aufgestandenen die Rede ist, dann ist das die Einladung, diese Geschichte vom Sturm auf dem See noch einmal in einem neuen Licht zu lesen. Das liegt auch deswegen nahe, weil sowohl Markus als auch denen, für die er schreibt, die jüdische Lesepraxis vertraut ist:  Wenn man am Ende der Torarolle angekommen ist, wird direkt auch wieder der Anfang gelesen. So ergibt auch der merkwürdige Beginn des Markusevangeliums einen Sinn, welches Buch fängt sonst schon mit dem Hinweis darauf an, dass dies übrigens der Buchanfang ist? „Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich. Dies ist der Anfang der frohen Botschaft von Jesus, dem Christus, dem Messias und Kind Gottes.“ In der Todeswüste um Jerusalem, auf dem Todesmeer in Galiläa, dort ist der Aufgestandene zugegen, dessen Name Jeschua auf Deutsch „Rettung, Befreiung“ heißt, den die Römer hingerichtet hatten und dessen Leben doch in Gott geborgen war, der mit seiner Freiheit und seinem Leben seiner Überzeugung treu geblieben war, dass Gott mächtiger ist als alle Vernichtung, dass wir eingeborgen sind in eine unbedingte Gegenwart, über die keine Macht der Welt Gewalt hat. Er befiehlt dem Sturm Schweigen und fragt in die Stille hinein: „Warum habt ihr solche Angst?“

Und, wenn jetzt am Ende wieder vom Aufgestandenen die Rede ist, dann heißt das auch: Diese Frage Jesu aus der Geschichte vom Sturm auf dem See in der Geschichte vom Ostermorgen mitzulesen. Die Gegenwart, in der Markus schreibt, ist eine bittere Zeit. Das Recht des Stärkeren hat gesiegt, und dieser Stärkere hat alles Leben einfach plattgemacht, weil er es konnte. Aus dem gleichen Grund werden auch heute noch Kriegsverbrechen begangen: Weil es geht, weil der Stärkere siegt und weil er auf das Recht pfeifen kann, im Zweifel schreibt er es selber oder schafft es ab, es kommt auf das Gleiche hinaus. Als eine bittere Geschichte hatte auch Jesu Leben geendet, und bittere Geschichten haben kein gutes Ende, es ist ja real, es ist kein Theatertod, wo alles halb so schlimm ist. Es ist schlimm, wie so vieles in der Welt. Und doch ist ein Horizont dahinter, von dem wir nur in der Sprache der Hoffnung und der Ahnungen sprechen können, von einer großen Güte, die alles Leben bewahrt, auch die bitteren Enden, gerade die bitteren Enden. Sie ist der tragende Grund, wenn bittere Enden zu neuen Anfängen werden, wenn Menschen dem Stärkeren nicht alles überlassen, nicht ihre Zuversicht, nicht ihre Überzeugung, dass eine andere Welt möglich ist. Sie ist der tragende Grund, wenn Menschen dem Tod nicht das letzte Wort lassen, sondern festhalten an der widerständigen Hoffnung der Liebe, die die Verbindung hält auch über das Sterben hinaus. Und wenn die Frauen entsetzt schweigen, dann ist in diesem Schweigen doch die Geschichte nach vorne hin offen: Es ist an den Leserinnen und Lesern, dem Evangelium seinen Schluss zu geben. Hier, in diesem Schweigen, ist der Anfang des Evangeliums von Jesus, dem Christus, dem Messias und Kind Gottes. „Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“, hatten sie geschrien. „Wozu hast du mich verlassen?“, hatte der sterbende Jesus noch herausgebracht. Der Aufgestandene aber befiehlt dem Sturm Schweigen, und es kehrt Stille ein, und in die Stille, in ihr Schweigen hinein fragt er: Warum habt ihr solche Angst?

Was für eine Frage! Ist denn nicht mehr als genug Grund zu Furcht gegeben? Aber wenn das nicht alles ist. Wenn Gottes Treue weiter reicht und Gottes Horizont größer ist. Wenn wir dem Leben trauen dürfen, weil Gott alles Leben bewahrt. Wenn die tödliche Gewalt, wenn das Sterben und der Tod nicht das letzte Wort über uns haben. Wenn am Ende steht, worauf Jesue-der-Lebendige sein Leben gesetzt hat, der diese Hoffnung im Namen trug, denn sein Name heißt: Rettung. Befreiung. Dann könnte eine Antwort auf die Frage „Was habt ihr solche Angst?“ vielleicht lauten: Wenn du nur da bist, und ich meiner Angst deinen Glauben entgegensetzen kann – dann nicht.

Und da ist noch etwas, ein letztes. Er ist nicht hier, hatte der Bote gesagt. Er ist nicht da, wo der Stärkere gesiegt hat. Oder besser gesagt: Er ist noch da, er ist bei allen Besiegten, er ist gerade dort, wo wir mit unserer Kraft am Ende sind, aber er ist nicht dort, wo die Gewalt ihn haben wollte. Und er ist nicht beim Stärkeren, der gesiegt hat. Er hatte eher seinen Tod in Kauf genommen, als seine Botschaft zurückzunehmen, dass Gott alles Leben bewahrt. Er hat sein Leben nicht gerettet, sondern festgehalten an dem, was uns alle trägt. Er war kein einsamer Held, der als Einzelner heroisch den Tod besiegt, sondern er hat sich der Hoffnung überlassen, dass ihn nichts trennen könnte von Gott, seinem Ursprung. Wenn er im Todesmeer von Galiläa fragt „Warum habt ihr solche Angst?“, dann nicht, weil für große Ideen eben kleine Leute sterben, weil Opfer halt erbracht werden müssen, sondern weil alle die, die unter die Räder der Geschichte geraten, in ihm eine Hoffnung haben können, dass sie wirklich zählen. Denn über ihn hat Gott ihr letztes Wort gesprochen, diesem Wort dürfen auch wir vertrauen, und dieses Wort heißt in Ewigkeit: Leben.

Dies ist der Tag, den Gott gemacht hat. Christus ist aufgeweckt worden – Amen – Halleluja.

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