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Karfreitag und die Frage, warum er sich nicht entzogen hat

Das Leben beginnt im biblischen Mythos in einem Garten. Der Garten steht für Frieden, für Sicherheit, dafür, dass es genug für alle gibt und alles Leben in einem Gleichgewicht steht. Im Garten findet Jesus zu einer Entscheidung: Vom Garten Getsemane aus könnte er leicht aus der Stadt ins Wadi nach Jericho ausweichen, dort gibt es Wasser und Höhlen, und die Römer kennen sich dort nicht gut aus. Es wäre ein einfacher Ausweg. Oder er könnte bleiben, auch wenn er unfassbare Angst davor hat. Er könnte bleiben, weil zu fliehen bedeuten würde, dass er nicht mehr gut er selber sein könnte. Er könnte bleiben, weil er überzeugt ist, dass ihn nichts trennen kann von Gott, keine Macht der Welt. Er könnte bleiben und allem, was er über Gottvertrauen gesagt hat und darüber, dass niemand außer Gott mächtig ist und dass Gott keine Unterschiede zwischen Menschen macht, damit das Siegel aufdrücken, dass er mit allem, was er hatte, dafür steht, dass das wahr ist. Mit seiner Glaubwürdigkeit, mit seinem Mut, mit seinem Leben.

Nachher wird die Geschichte in einem Garten zu einem neuen Anfang werden, aber der Garten wird nicht mehr der gleiche sein. Es wird eine Industriebrache sein, ein aufgelassener Steinbruch, den die Natur sich zurückerobert. Man sieht ihm die Gewalt noch an, mit der die Erde ausgebeutet wurde. Man sieht, dass die Welt fundamental aus den Fugen geraten ist. Und doch wird es wieder ein Garten sein.

In einem Garten sind die Kräfte des Lebens im Gleichgewicht. Nach dem Gleichgewicht suchen Menschen auch in dem Großteil des Lebens, der sich eben nicht im Garten abspielt. Wenn sie die Erfahrung machen, dass sie nicht aus sich selber leben, dass sie ihr Leben, ihre Nahrung, ihre Existenz anderen Mächten verdanken, dann geben sie dafür etwas zurück - lange Zeit zum Beispiel den ersten Schluck Wasser, das erste Glas Wein, die ersten Früchte vom Feld. So kommen die Dinge ins Gleichgewicht. Und wenn es um den Umgang mit Schuld geht, dann geben sie auch etwas, oft ein Tier, dessen Blut dafür steht, dass der an anderem Leben angerichtete Schaden wieder ausgeglichen wird, denn im Blut hat die Lebenskraft ihren Sitz. In dieser Erzählgemeinschaft, in dieser normalen Praxis lernt Jesus seine religiöse Muttersprache. Sie ist ihm und seinen Freundinnen und Freunden geläufig, so wie auch das Bewusstsein, dass die Hingabe eines einzigen die Ungerechtigkeiten der vielen ausgleichen kann. Dahinter steht  keine Logik des Zählens und Aufwiegens, sondern die Erfahrung, dass es unschuldiges Leiden gibt und die Hoffnung, dass dieses unschuldige Leiden nicht in einer zynischen Sinnlosigkeit verloren ist.

Im Garten findet Jesus zu der Entscheidung, nicht auszuweichen, nichts zurückzunehmen  von allem, was er über Gottvertrauen gesagt hat, auch wenn es ihn das Leben kostet und bedeutet, einen furchtbaren Tod zu sterben. Später haben seine Freundinnen und Freunde das mit dem Begriff des Opfers versucht, irgendwie ins Wort zu bringen, was da passiert ist: Einer für alle. Es ist schwer, das so auszudrücken, dass es nicht verzerrt wird, es ist, wie immer nur einen Zipfel zu  fassen zu bekommen davon, was es bedeuten könnte, dass dieses eine unschuldige Leiden nicht vergessen wurde. Es spielt sich eher im Bereich der Ahnungen und des Zurückschreckens davor ab, so gewagt, so aussichtslos und so unfassbar erscheint es, dass Jesus aus dem Garten nicht in die Freiheit geht, sondern sich alles nehmen lässt, auch seine Freiheit und sein Leben, weil ihn nichts trennen kann von der Liebe Gottes, die alles bewahrt.

Er hat sich nicht gewehrt und sich nicht verteidigt. Aber er hätte es gekonnt. Das ist wichtig. Es geht nicht darum, zu glorifizieren, dass hier jemand keine Wahl hatte. Es ist mehr als eine Schilderung, wie der Stärkere siegt und vernichtet, was ihm lästig ist, und die Hoffnung auf Gerechtigkeit als Illusion zerplatzt. Da ist jemand, der beschließt, sich nicht zu wehren, weil er unfassbar überzeugt davon ist, dass das sein Weg ist, seine Botschaft zu beglaubigen: Diese Gewalt ist nicht von Gott.

Gewaltlosigkeit hat eine große Kraft, aber der Grat ist schmal. Es gibt den Moment, wo aus mächtiger, weil gewählter Gewaltlosigkeit Wehrlosigkeit wird. Alles, was nach diesem Moment kommt, darf nicht verklärt werden als freie Wahl. Es ist pure Gewalt. Sie zu verklären als freie Wahl macht uns unempfindlich gegenüber dieser Gewalt, und Unempfindlichkeit führt uns nicht zu Lebendigkeit, denn Leben kommt aus Verletzlichkeit. Was einmal gut war, wird zerstört. Was hier passiert, vernichtet ein Leben so gründlich, dass eine ganze Welt untergeht. Das Licht, von Gott als erstes erschaffen, weicht der Dunkelheit. Der Lebensatem Gottes, der über den Wassern der Urflut gebraust war, so ungeheuer lebendig, verlässt Jesus. Und die unfassbar gequälte Frage “Wozu hast du mich verlassen” bleibt unbeantwortet. Hier passiert kein Zwischenschritt, das ist kein Theatertod, nach dem man weiß, dass alles halb so schlimm ist, der Tote wird wieder aufstehen zum Schlussapplaus. Das hier ist real, in dieser einen Situation und so unzählbar oft auf unserer Welt und in unserer Geschichte, in unserer Zeit.  Und doch ist noch ein Horizont dahinter. Das ist etwas, was nur mit großer Achtsamkeit erzählt werden kann, in der Sprache der Ahnungen und des Hoffens. Es eignet sich nicht für feste Gewissheiten und für die Unerschütterlichkeit, die einen Sinn darin finden kann.

Aber es ist möglich, dass das Ende nicht Verlorenheit ist. Die Frage “Wozu” hält diese gebrochene Hoffnung irgendwie aufrecht, öffnet einen winzigen Spalt dieser Hoffnung, weil sie nicht nach dem Grund fragt, warum das passiert. Der Grund ist zu banal: Weil es geht. So ist Gewalt auf dieser Welt. Es gibt keine sinnvolle Antwort auf diese Frage, außer an ihr endgültig zu verzweifeln. Jesus fragt mit dem Psalm, den er so gut kannte, wozu? Was kann ich jetzt noch von dir glauben? Bist du dahinter? Wirst du mich bewahren? Er stirbt in diese Frage hinein. Wir kennen die Antwort nicht. Aber wir sehen. dass er bis zur letzten Faser seines Lebens darauf gesetzt hat, dass Gott mächtiger ist als alle Vernichtung, und dass ihn nichts trennen könnte von Gott, die alles bewahrt.