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12. Sonntag im Jahreskreis C // zur 2. Lesung
Ihr alle nämlich seid Gottes Kinder im Messias Jesus durch das Vertrauen. Denn alle, die ihr in den Messias hineingetauft seid, habt den Messias angezogen wie ein Kleid. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht männlich und weiblich: Denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus. Wenn ihr aber dem Messias angehört, dann seid ihr folgerichtig auch Abrahams Samen, erbberechtigt aufgrund der Verheißung.
Brief an die Gemeinde in Galatien, Kapitel 3, Verse 26-29
Der Dreiklang der aufgehobenen Unterschiede, der so großartig und so wenig katholische Praxis zugleich ist, ist keine Erfindung des Apostels Paulus. Sie entstammen - hier zitiere ich mich selbst - einem bereits zu seiner Zeit schon tradierten Segensspruch aus dem jüdischen Morgengebet: "Gepriesen seist du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt, der du mich nicht als Heide, nicht als Sklave, nicht als Frau erschaffen hast." Heute lassen Frauen den dritten Teil weg, es gibt aber auch jüdische Strömungen, die eine positive Variante verwenden: "...der du mich jüdisch, frei, nach deinem Bild erschaffen hast." Hintergrund dieser Gegensatzpaare ist der Grad, in welchem eine Befolgung der Gebote von einem Menschen zu erwarten ist: gar nicht von Nichtjuden, von Sklaven weniger als von Freien, und von Männern sind mehr Gebote zu erfüllen als von Frauen. Am Beginn des Tages, der von den Geboten geprägt ist, steht die Erinnerung daran, dass es ein Privileg ist, die Gebote halten zu dürfen, und der Dank dafür.
Paulus greift diesen Dreiklang auf, umkreist aber ausschließlich die Frage nach dem Verhältnis von jüdischen und nichtjüdischen Jesusgläubigen, das tut er dafür sehr ausführlich und in immer wieder neuen Zusammenhängen. Denn für Paulus wird die Hoffnung auf die Völkerwallfahrt zum Zion (Jes 60) zum Dreh- und Angelpunkt seiner Theologie und seiner Endzeiterwartung, und dafür ist es unbedingt nötig, dass unter den Jesusgläubigen die nichtjüdischen Menschen als solche noch erkennbar sind, sie dürfen nicht komplett jüdisch werden, sonst würde diese Vision nicht mehr funktionieren. Es war für Paulus absolut unvorstellbar, dass die Geschichte genau andersherum abbiegen, dass die jüdischen Jesusgläubigen eine winzige Gruppe werden würde, deren Diskurse und Gedankenwelten dem beginnenden Christentum sehr schnell sehr fremd werden würden. Wir lesen seine Briefe noch, aber die Argumentationen sind keine Antworten auf unsere Fragen mehr, sondern wir müssen erst die Fragen neu lernen, um die Antworten verstehen zu können. Unsere Fragen wiederum haben Paulus nicht weiter beschäftigt, versklavte Menschen und Frauen waren nicht in seinem gedanklichen Fokus - darum haben die Kirchen so lange gebraucht, die Sklaverei zu verurteilen, und darum tun sich einige Kirchen bis heute so unendlich schwer mit der Gleichberechtigung der Geschlechter. Allein, dass es Frauen gibt, erscheint irgendwie eine Abweichung von einer unsichtbaren Norm, denn niemals wird eine "Männerfrage" auch nur ansatzweise so diskutiert wie die "Frauenfrage". Dass aus der Existenz von Frauen überhaupt eine "Frauenfrage" folgt, sollte doch eigentlich bemerkenswert sein - aus der Existenz von Männern ergibt sich in der Regel ja auch keine "Männerfrage".
Mit Paulus könnte das einfach sein: "Wir sind alle einzig-einig im Messias Jesus." So einfach ist aber offensichtlich nicht, beziehungsweise es wird ein Rahmen geschaffen, in dem Frauen ihre Anliegen immer zuerst diskutieren müssen, als wären ihre Rechte keine Selbstverständlichkeit. Allein das Sich-Einlassen auf diese Diskussion ist ein Skandal, bestätigt es doch, dass die Plätze von Frauen Verhandlungssache sind. Und im Zweifel können Männer diese Verhandlung einfach für beendet erklären. Das ist nicht nur ärgerlich und zeugt von wenig theologischem Mut, sondern es ist auch ein Gradmesser dafür, ob die Kirche ein Zeichen des Heils sein kann, ein Zeichen für eine gigantische Hoffnung für diese Welt.
Denn ein genauer Blick in die griechische Formulierung des Paulus ist aufschlussreich: Bei den Gegensatzpaaren jüdisch-heidnisch und versklavt-frei verwendet er Substantive und die Wendung "weder-noch": "weder Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier". Beim dritten Gegensatzpaar aber wechselt er und schreibt "nicht männlich und weiblich". Darin klingt der Schabbat-Schöpfungs-Hymnus am Anfang der Bibel durch: "Gott schuf den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie." (Gen 1,27) Oft wird dieser Vers herangezogen, um eng vom Menschen zu denken. Bei der Schöpfung geht es aber darum, einen weiten Horizont aufzumachen: Gott trennt im Lied das Licht von der Dunkelheit, aber selbstverständlich gibt es auch das Zwielicht und die Dämmerung, auch hat wohl noch niemand eine Wattwanderung mit dem Argument abgelehnt, das verbiete seine Religion, schließlich habe Gott das Wasser vom Land getrennt - und auch wenn es im Mittelmeer natürlich kein Watt gibt, so gibt es doch den Strand und das Wadi, das nur im Frühjahr Wasser führt. Wenn Paulus hier also einmal nicht rhetorisch glatt formuliert, sondern erkennbar einen Bruch in der Satzgestaltung in Kauf nimmt, dann ist dieser Verweis auf den Schöpfungshymnus für ihn wohl wichtiger gewesen als die bruchlose Formulierung.
Im Schöpfungshymnus geschieht Schöpfung durch Trennung und Ordnung. Indem Paulus ihn aufgreif, schimmert sein Endzeitbewusstsein durch: Die Trennung in männlich und weiblich ist schon aufgehoben, andere neue Einheiten werden folgen. Die Getauften sind schon jetzt eine neue Schöpfung (2Kor 5,17), und bald wird Gott alles Geschaffene hineinnehmen in Gottes Glanz, und die Geschichte wird zu ihrem Ende kommen. Bekanntermaßen ist dieses Endzeitbewusstsein eine temporäre Angelegenheit gewesen, in der Folge haben die christlichen Gemeinden eigene Ordnungen ausgebildet und die Türen ihrer Häuser weit geöffnet für den Zeitgeist in Form des Patriarchats. Der Rest ist Geschichte - von Ständen und unterschiedlichen Rechten, von Über- und Unterordnung. Da wieder heraus zu finden, wäre ein großartiges Zeichen für unsere Welt, dass noch etwas zu hoffen ist. Es könnte heißen, dass Neuanfänge tatsächlich möglich sind, dass schon etwas von Gottes Glanz erfahrbar ist, und zwar nicht in der Sonderwelt barocker Rituale, sondern in alltäglich gelebter Gerechtigkeit. Dazu würde dann auch gehören, Privilegien aufzugeben und die Benachteiligten ihre Kämpfe nicht alleine kämpfen zu lassen.
Wenn noch zu hoffen ist, dass Gottes Glanz an uns sichtbar werden kann, dann ist der Ruf nach Gleichberechtigung der Geschlechter nicht damit zu begründen, dass Paulus dies und jenes übrigens auch gesagt hat - das ist ein eher schwaches Argument, denn Paulus hat vieles gesagt und nicht alles davon sollte heute noch so zur Anwendung kommen -, sondern damit, Paulus' Hoffnung zu teilen, die er aus dem prophetischen Buch Jesaja schöpft und die an uns sichtbar werden könnte: Siehe, ich mache etwas Neues - schon sprießt es auf, erkennt ihr es nicht? (Jes 43,19)