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3. Sonntag im Jahreskreis C // zur 2. Lesung (2025)

Wie Paulus' Endzeiterwartung sein Gemeindeideal prägt

Denn wie der Körper eine Einheit ist und doch viele Teile hat, alle Teile des Körpers also die Einheit des Körpers ausmachen, so verhält es sich auch mit Christus.  Wir alle sind durch den einen Geist zu einer leiblichen Einheit getauft worden, ob wir jüdische oder griechische Menschen sind, oder ob wir Unfreie oder Freie sind – uns alle hat Gott eine Geistkraft trinken lassen. Denn auch der menschliche Körper besteht nicht nur aus einem Körperteil, sondern aus vielen. Wenn der Fuß sagen würde: »Weil ich keine Hand bin, gehöre ich nicht zum Körper«, gehört er nicht trotzdem dazu? Und wenn das Ohr sagen würde: »Weil ich kein Auge bin, gehöre ich nicht zum Körper«, gehört es nicht trotzdem dazu? Wenn der ganze Körper Auge wäre, wo bliebe dann das Hören? Wenn der ganze Körper Hören wäre, wo bliebe dann das Riechen? Nun hat Gott den Körper aus vielen Teilen zusammengefügt. Jedes einzelne Körperteil gehört nach Gottes Willen dazu. Wenn aber alle Teile identisch wären, wo bliebe der Körper? Nun gibt es zwar viele Körperteile, aber nur einen Körper. Das Auge kann der Hand nicht sagen: »Ich brauche dich nicht«. Auch der Kopf kann zu den Füßen nicht sagen: »Ich brauche euch nicht«. Nein! Gerade auf die Körperteile, die unbedeutender zu sein scheinen, kommt es an. Den Körperteilen, die wir für weniger beachtenswert halten, lassen wir besondere Achtung zukommen, und bei den Körperteilen, die wir an uns für unanständig halten, achten wir besonders auf Würde. Was wir an uns für anständig halten, muss nicht besonders geehrt werden. Gott hat den Körper zusammengefügt und gab dem niedrig gehaltenen Teil umso größere Ehre, damit der Körper nicht von einer Grenze durchzogen wird, sondern die Glieder sich gemeinsam umeinander sorgen. Und wenn ein Körperteil leidet, leiden alle anderen mit; wenn ein Körperteil geehrt wird, freuen sich die anderen alle mit. Ihr seid der Leib Christi und – einzeln genommen – Angehörige Christi.
Gott hat der Gemeinde unterschiedliche Aufgaben gestellt, da sind erstens Apostel und Apostelinnen, zweitens Prophetinnen und Propheten, drittens Lehrerinnen und Lehrer, weiterhin die Aufgaben: Erweise der Macht Gottes zu vollbringen, zu heilen, zu helfen und zu leiten oder die Fähigkeit zu entwickeln, Gott gegenüber eine besondere Sprache zu sprechen. Können etwa alle apostolische oder prophetische Aufgaben erfüllen oder lehren und Wunder tun? Haben etwa alle die geschenkte Fähigkeit zu heilen oder eine besondere Sprache Gott gegenüber zu sprechen oder sie zu deuten? Setzt euch für diese wichtigen Aufgaben ein. Und ich kann euch auch noch einen wunderbaren Weg dazu zeigen.

(1. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 12, Verse 12-31)

Paulus erwartet die Vollendung der schon angebrochenen Endzeit, sogar noch zu seinen Lebzeiten. In dieser Endzeit, wie sie etwa das Buch Jesaja ausmalt, werden die Völker nach Jerusalem pilgern und gemeinsam mit Israel im Licht Gottes vollendet. Damit es diese "Völker" noch gibt und die Hoffnung sich erfüllen kann, müssen die nichtjüdischen Jesusgläubigen nach Paulus' Auffassung unbedingt nichtjüdisch bleiben.

Paulus schreibt an ein Publikum, das aus getauften Menschen nichtjüdischer und jüdischer Herkunft besteht und dessen jüdische Mitglieder sich - zumindest temporär - von der Synagogengemeinde separieren. Dieser jesusgläubigen Gemeinde schreibt Paulus, dass die Unterschiede zwischen Menschen keine Rolle mehr spielen. Immer wieder kommt er darauf zurück, am prägnantesten im Brief an die Gemeinde in Galatien: "Da ist nicht mehr jüdisch noch heidnisch, nicht mehr versklavt noch frei, nicht mehr männlich noch weiblich." (Gal 3,28)

Diese drei Gegensatzpaare hat Paulus nicht selbst entwickelt, sondern sie entstammen einem bereits zu seiner Zeit schon tradierten Segensspruch aus dem jüdischen Morgengebet: "Gepriesen seist du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt, der du mich nicht als Heide, nicht als Sklave, nicht als Frau erschaffen hast." Heute lassen Frauen den dritten Teil weg, es gibt aber auch jüdische Strömungen, die eine positive Variante verwenden: "...der du mich jüdisch, frei, nach deinem Bild erschaffen hast." Hintergrund dieser Gegensatzpaare ist der Grad, in welchem eine Befolgung der Gebote von einem Menschen zu erwarten ist: gar nicht von Nichtjuden, von Sklaven weniger als von Freien, und von Männern sind mehr Gebote zu erfüllen als von Frauen. Am Beginn des Tages, der von den Geboten geprägt ist, steht die Erinnerung daran, dass es ein Privileg ist, die Gebote halten zu dürfen, und der Dank dafür. Ob das Bemühen um eine Auslegung, die nicht diskrimierend klingt, zeitgenössisch schon gängig war, muss an dieser Stelle offen bleiben.

Paulus verpflichtet aber die nichtjüdischen Jesusgläubigen durchaus auf wichtige Gebote, zuerst auf das Halten des ersten Gebots: keine fremden Götter, und dann auch auf die letzten fünf der zehn Gebote (Röm 13,8f.) - das gehört zum endzeitgerechten Leben dazu. Ob jemand dann jüdisch oder nichtjüdisch ist, ist für die Endzeit in Bezug auf die einzelnen Menschen nicht wichtig. Dagegen ist in Paulus' Augen unbedingt notwendig, dass es diese beiden Gruppen noch gibt, wenn die Zeit sich erfüllt. Darum darf bei nichtjüdischen Menschen nicht der Eindruck aufkommen, dass sie jüdisch werden müssten, um in die Fülle der Verheißungen einzutreten, und darum ist es wichtig, dass es zwischen ihnen keine Hierarchien, keine Werturteile und kein Erleben einer Trennung gibt.

Gegenüber der Frage nach der Konversion kommt das Nachdenken über das Verhältnis von verklavten zu freien Menschen bei Paulus recht kurz und fällt auch wenig befriedigend aus, wie der Philemon-Brief zeigt. Und die Frage nach Männern und Frauen bekommt noch weniger Aufmerksamkeit. Im Brief nach Korinth wird sie nicht einmal explizit genannt, obwohl sie zu den zitierten Gegensatzpaaren jüdisch und heidnisch, versklavt und frei eindeutig dazugehört. So akzeptiert Paulus zwar fraglos Frauen in Verantwortung, erkennt sie als Diakoninnnen und Gemeindeleiterinnen an, kann sich aber nicht durchringen, in der Frage nach der Kopfbedeckung anders als mit der Gewohnheit zu argumentieren (1Kor 11,16) und bemüht sich auch nicht, Frauen außerhalb der Grußlisten explizit zu nennen und anzusprechen, wenn es nicht gerade um das Kopftuch geht.

Bei Paulus ist die Unterbelichtung der Fragen nach der Sklaverei und nach den Geschlechtern insofern verständlich, als die Erwartung der Toraobservanz ja nun tatsächlich zuerst von der Frage "jüdisch oder nichtjüdisch?" abhängt und die anderen beiden Gegensätze nur noch graduelle Unterschiede zwischen jüdischen Menschen aufrufen.

Dabei schreibt er jedoch gleichzeitig gegen die Markierung von Unterschieden innerhalb der jesusgläubigen Gemeinschaft an, und auch gegen neue Hierarchien, die die Erfahrung der erfüllenden Gemeinschaft verdunkeln können. Aber er tut das mit seinen eigenen Begrenzungen. Als schreibfreudigster Missionar seiner Zeit ist Paulus heute so maßgeblich, dass diese Begrenzungen im Umgang mit seinen Texten in der Regel nicht auffallen, so wie auch vielfach nicht auffällt, dass das formelhafte Bekenntnis "Der Herr ist auferstanden und dem Simon erschienen" die Frauen des Ostermorgens komplett aus der Tradition herausschreibt (1Kor 15,5).

Dass Paulus beim Argumentieren gegen neue Hierarchien so wenig Interesse für die Geschlechterfrage hatte, sorgt bis heute dafür, dass der Leib Christi, als den wir die Kirche doch immer noch bezeichnen, verwundet bleibt, weil Menschen darin ungerecht diskriminiert werden. Hierarchien, Werturteile und Trennungen sind hier unübersehbar und so schmerzhaft, das ändern auch vergiftete Komplimete in Bezug auf das "weibliche Wesen" selbstverständlich nicht, bei denen Überhöhung und Abwertung Hand in Hand gehen. Dass Paulus sich nicht wirklich für die "Frauenfrage" interessiert, hat er mit vielen Amtsträgern in der Kirche heute gemein, die den Umgang mit Frauen auch irgendwie ungerecht finden, denen die Geschlechtergerechtigkeit dann aber nun doch nicht so wichtig ist, dass sie dafür ernsthaft einen Konflikt oder gar ein Risiko eingehen würden. Bis zur endzeitlichen Fülle ist es noch ein weiter Weg.

Zum Weiterlesen: Paula Fredriksen, Paulus und das Judentum, in: Wolfgang Kraus, Michael Tilly, Axel Töllner (Hrsg.), Das neue Testament jüdisch erklärt, Stuttgart 2016, 684-488.

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