
Achtung Osterprediger*innen: Maria von Magdala war keine Prostituierte!
Frauen, die der Prostitution nachgehen, haben einen schlechten Ruf. Allein das ist seltsam, kommt ihre Arbeit doch nicht ohne Kunden aus - aber Männer, die Prostitution in Anspruch nehmen, erleben nicht annähernd so eine Beschämung wie die Frauen, die sie dabei ausbeuten.
Und so ist es auch die ultimative Verleumdung der Lieblingsjüngerin Jesu, sie als Prostituierte zu bezeichnen. Hat jemand schonmal probiert, welchen - berechtigten! - Sturm der Entrüstung es auslösen würde, Petrus als Zuhälter zu bezeichnen? Eben. Aber beide Verleumdungen haben keinen Anhalt in den Evangelien und spielen in der gleichen Liga, nur die des Petrus ist eben Fiktion, die Verleumdung der Maria aus Magdala war über mehr als anderthalbtausend Jahre (!) Realität: So hat man diese Frau gesehen, die mit Jesus so eine innige Freundschaft verband. Wirkmächtig daran beteiligt war Papst Gregor I, der Maria als Prototyp für den sündigen Menschen schlechthin darstellte - so ein Prototyp muss quasi zwingend weiblich sein, oder? Schließlich ist die Frau, mit der Materie assoziiert, weltlich, sündig, moralisch minderwertig, oder in den Gedanken des 19. und 20. Jahrhunderts ausgedrückt: erdverbunden, von Instinkten und Emotionen gesteuert, während der Mann auf die Seite des Geistes, der Vernunft und der Moral gehört. Diese Seite wird als der Natur überlegen imaginiert, woraus eine Überlegenheit des Mannes resultiert. Das alles sind selbstverständlich Konstruktionen, Fiktionen und Vorurteile, die keinerlei objektive Grundlage haben. Wirkmächtig sind sie trotzdem, und Gregors Sünde-Prototyp hat dazu deutlich beigetragen. Er folgte darin Hieronymus, dem Kirchenvater - in einem Jahrhunderte überbrückenden Männerbündnis demontieren und eliminieren beide Maria als Kirchenmutter. (Aber sie war ja auch kinderlos, einself!!!) Karriere durfte sie in der Kirche dann doch machen, aber eben als Prostituierte. Ironischerweise hat man im Gegenzug die Frauen, von denen die Bibel tatsächlich im Zusammenhang mit Prostitution erzählt, weitgehend vergessen, auch wenn gleich zwei davon im Stammbaum Jesu nach Matthäus genannt werden, nämlich Tamar und Rahab.
Wie wird nun aus der Lieblingsjüngerin Jesu, der ersten Zeugin der Auferstehung, ohne die wohl kein Glaube an Jesus-den-Lebendigen hätte wachsen können, eine Prostituierte? Das geht, indem Gregor I. aus mehreren Frauen eine macht, nämlich aus Maria von Magdala, von der Lukas - und nur Lukas, der bekanntlich auch kein Feminist ist - erzählt, Jesus habe aus ihr sieben Dämonen ausgetrieben (Lk 8,2), Maria von Betanien, die Jesus die Füße salbt (Joh 12,1-8), und der anonymen Frau, die das gleiche tut und von der es heißt, sie sei eine Sünderin gewesen (Lk 7,36-50), auf welche Weise auch immer. Die Identifikation der Maria aus Magdala mit anderen Frauen mit dem Namen Maria beruht unter anderem darauf, dass es in den Evangelien wie auch in der damaligen Gesellschaft total viele Marien - Mirjams - gibt, etwa ein Viertel der Frauen sollen diesen Namen getragen haben, den Namen der Prophetin Mirjam, Schwester des Mose, und damit die Hoffnung auf Rettung und Freiheit. Ihre Identifikation mit der anonymen Frau schreibt diese aus der Erinnerung heraus - sie hatte schon keinen Namen, nun hat sie nicht einmal mehr eine eigene Existenz.
Gregor legt dann noch dazu, dass die sieben aus Maria von Magdala ausgetriebenen Dämonen für sämtliche Sünden stünden - in der Tradition gibt es nicht von ungefähr die Vorstellung von "sieben Todsünden" - und fertig ist das Bild von Maria, die die Sünderin schlechthin ist, also eine Prostituierte. Dabei hat sie Jesus nie verraten, anders als Judas, anders als Petrus. Dass nebenbei an erkauftem wie frewilligem Geschlechtsverkehr zwei Menschen beteiligt sind, dass auch eine uneheliche Schwangerschaft auf das Handeln eines Mannes zurückgeht - geschenkt. Immerhin sind Frauen verführerisch, der Mann - angeblich so vernunftgesteuert - kann also gar nicht anders! Alle diese Vorurteile sind nicht logisch, sie deformieren den Gehalt biblischer Geschichten wie der von der Frucht vom Baum der Erkenntnis, sie sind ungerecht und unschwer als sexistische Vorurteile erkennbar. Aber eben - wirksam sind sie trotzdem, in der katholischen Kirche bis heute. So bekam Maria von Magdala ihr langes rotes Haar als Inbegriff ihrer Sündhaftigkeit, das sie in der Ikonographie mit Eva verbindet: Beide dienen der männlichen Phantasie, aber nicht zum Guten. Aus solchen Bildern wird reale Gewalt: Im Namen der Maria von Magdala hat kirchliche Autorität in den irischen Magdalenenheimen Frauen versklavt, ihnen ihre unehelichen Kinder geraubt, diese manchmal gar mehr oder weniger fahrlässig sterben lassen. Wie Maria von Magdala sollten die dort gefangenen Frauen büßen. Das ist Frauenhass in Reinform, und man kann das Problem nicht an die Extreme an den Rändern auslagern, es besteht auch ganz im Inneren der Kirche, in kleiner, großer und globaler Ausprägung.
Einmal mehr wird deutlich, dass das Problem heute in der Kirche nicht ist, dass Jesus ein Mann war. Das Problem ist, dass nicht mehr Männer wie Jesus sind (Elizabeth Johnson) - Jesus hatte es nicht nur ausgehalten, Maria in seiner Nähe zu haben, er hat ihre Nähe geschätzt und beide gern um sich gehabt, Maria und Petrus. Maria und Petrus verbindet auch, dass beide in keiner Liste von Jesu Lieblingsmenschen fehlen, während die anderen Namen wechseln können, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Anders als Petrus kam Maria aber aus einem urbanen Umfeld, denn Magdala war eine bedeutende Hafenstadt am See Genezareth. Früh wird in der Überlieferung eine Konkurrenz zwischen beiden thematisiert: Die verschiedenen apokryph gewordenen Schriften schlagen sich meist auf eine Seite, stellen Maria oder Petrus also in ein gutes Licht und kritisieren die jeweils andere Person deutlich. Auf lange Sicht gewonnen hat eindeutlg Petrus, dieser Sieg gehört in die Geschichte der Repatriarchalisierung der jesusgläubigen Gemeinden.
Heute gibt es Bemühungen, das Bild wieder gerade zu rücken, der Festtag von Maria von Magdala am 22. Juli ist im katholischen Heiligenkalender zum Hochfest upgegradet worden. Aber auch das geht nicht ohne problematische Aspekte ab: Maria darf nun verehrt werden als "Apostelin der Apostel". Da schimmert die Idee eines weiblichen Apostolats durch, denn die Männer sind Apostel Jesu Christi, die Frau ist Apostelin der Apostel. In der männlichen Variante wird das Wort "Apostel" also damit näher bestimmt, wen sie verkündigen sollen, in der weiblichen Variante wird ausgesagt, wem die Botschaft gilt. Ein kleiner, feiner Unterschied, der das Apostolat der Maria zeitlich deutlich begrenzt, denn es gilt dann nur, bis sie eben die Botschaft überbracht hat. Die Zusammenfassung mit dem Zitat von @nakedpastor "Thank you, Ladies, we take it from here" ist bitter, aber realistisch, auch wenn die Männer das Zeugnis erst für Weibergeschwätz hielten. Und so kann dann als Grundformel des Glaubens formuliert werden: "Der Herr ist auferstanden und dem Simon erschienen" und auch der so berührende Dialog zwischen Maria und dem Lebendigen am Ostermorgen muss im Ostersonntags-Gottesdienst nicht vorgetragen werden, er darf weggelassen werden, anders als der Wettlauf der Jünger zum Grab. Was ist schon die Innigkeit, in der Maria die Stimme des Lebendigen erkennt, als er sie beim Namen nennt - die Bezüge innerhalb des Johannesevangeliums sind deutlich, denn die Schafe erkennen die Stimme des guten Hirten, und vor Pilatus bezeugt Jesus, dass seine Stimme hört, wer aus der Wahrheit ist -, was ist schon diese Innigkeit gegen die Erzählung davon, dass zwei Männer um die Wette rennen? Man kann in der Folge fragen, was sie da am Grab erleben, dass der Sieg im Wettkampf keine Rolle mehr spielt (danke Christian!), auf lange Sicht indes gibt es zwar keinen Sieger, aber eine klare Verliererin, nämlich Maria aus Magdala.
Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass die Verkündigung, die nun ohne Maria von Magdala auskam, auch ein herrisches, vermännlichtes, mit grausamen Zügen ausgestattetes Gottesbild transportierte. Maria ist die primäre Osterzeugin, und Gott ist kein Mann (das wiederum besagt sogar ein Spitzensatz der Bibel, die einzige Stelle, in der eine geschlechtliche Identität Gottes verhandelt wird, auch noch als Gottesrede gestaltet: Gott bin ich und kein Mann (Hos 11,9), auch wenn die Einheitsübersetzung hier falsch "Mensch" übersetzt).
Wer über Ostern predigt und diese Verlustgeschichte nicht weiter fortschreiben will, hat viele Vorurteile zu identifizieren, ebenso viele gewohnte Lesarten abzulegen und sollte auch die im Lob versteckte Degradierung der Apostelin Maria nicht übersehen. Für Jesus war es in seinem Erdenleben so gar kein Problem, Frauen in seiner Nähe zu haben. Die Erfahrung mit ihm als Lebendigem wird zuerst von Frauen gemacht, getragen und geteilt.Würden wir so jesuanisch Kirche sein - es wäre kraftvoll und befreiend, berührend und hoffnungsfroh, es wäre gigantisch österlich.
Zum Weiterlesen nachdrücklich empfohlen: Silke Petersen, Maria aus Magdala. Die Jüngerin, die Jesus liebte, Leipzig 2011.