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5. Fastensonntag C // zum Evangelium

Jesus aber ging auf den Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel, und das ganze Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie. Die Schriftgelehrten, Pharisäerinnen und Pharisäer brachten eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, und stellten sie in die Mitte, und sie sagten ihm: »Lehrer, diese Frau ist ergriffen worden, wie sie gerade dabei war, Ehebruch zu begehen. In der Tora hat uns Mose geboten, solche Frauen zu steinigen. Was meinst du nun dazu?« Dies sagten sie aber, um ihn auf die Probe zu stellen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen. Jesus aber beugte sich nieder und schrieb mit dem Finger in den Sand. Als sie dabei blieben, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sagte ihnen: »Welche unter euch ohne Unrecht sind, mögen als Erste einen Stein auf sie werfen.« Und er beugte sich wieder hinunter und schrieb in den Sand. Als sie dies hörten, gingen sie alle nacheinander weg, angefangen bei den Ältesten, und ließen ihn allein mit der Frau, die in der Mitte war. Jesus richtete sich auf und sagte ihr: »Frau, wo sind sie? Hat dich niemand gerichtet?« Sie sagte: »Niemand, Rabbi.« Jesus sagte ihr: »Auch ich richte dich nicht; geh und tue von jetzt an kein Unrecht mehr.«

(Johannesevangelium, Kapitel 8, Verse 1-11)

Es gibt Stimmen, die diesen Abschnitt des Evangeliums nach Johannes ursprünglich im Lukas-Evangelium beheimatet sehen - und es sei mehr aus Versehen ins Johannesevangelium gerutscht, ein antiker Copy-paste-Fehler. Möglich wäre es - es gibt auch alte Textzeugen der Evangelien, die diesen Text gar nicht enthalten. Er bringt ja auch einiges an patriarchaler Ordnung durcheinander: Warum bleibt die Frau ohne Strafe? (!!1!Einself!!)

Nach Levitikus 20,10 und Deuteronomium 22,22 ist Ehebruch mit dem Tod zu bestrafen: Der Ehebrecher und die Ehebrecherin müssen unbedingt getötet werden. Aber Aussagen, die zu einem solchen Urteil führen, müssen von mindestens zwei Zeugen bestätigt werden. Im Fall eines Ehebruchs macht das den Schuldspruch sehr unwahrscheinlich - zumindest, wenn man von einem Liebesverhältnis ausgeht. Etwas anders stellt sich die Sache dar, wenn man hinzunimmt, dass die Strafe in der patriarchalen Praxis ausschließlich der Frau galt, so wie die Erzählung im Evangelium es auch kommentarlos voraussetzt. Die Schutzwirkung, die die Bücher Leviticus und Deuteronomium hier einziehen, indem beide Beteiligte verurteilt werden, war nämlich offenbar keine Rechtspraxis geworden. Verschärfend kommt hinzu, dass es keine Rolle spielte, ob die Frau dem sexuellen Kontakt zugestimmt hatte oder nicht, solange sie nicht laut um Hilfe geschrien hatte. Das Buch Deuteronomium geht sogar explizit von einer Vergewaltigung aus, wenn es verschiedene Fälle unterscheidet: Hatte sich die Frau lautstark gewehrt oder oder war die Situation so, dass niemand sie hätte hören können, ging sie straffrei aus. Blieb eine Frau bei einer Vergewaltigung innerhalb von einem bewohnten Gebiet aber stumm, galt sie ebenfalls als schuldig. (Dtn 22,23-27) Naserümpfen ist hier nicht angebracht - im deutschen Strafrecht gab es bis vor wenigen Jahren ähnliche Annahmen über das Verhalten eines "echten Opfers", und "nur ja heißt ja" ist immer noch kein Standard. Die Vorannahmen, wie sich ein Opfer zu verhalten haben, sind patriarchal durchtränkt und ermöglichen Gewalt, Schuldumkehr und Femizid.

Beides zusammen genommen: Ein sexueller Kontakt musste nicht einvernehmlich sein, und die Strafe traf in der Praxis ausschließlich die Frau, macht die freiwillige Beteiligung der Frau zumindest fraglich. Wenn ein Mann seiner Frau nämlich eine entsprechende Falle stellte, konnte er sich ihrer rechtssicher entledigen, ganz ohne Scheidungsbrief und finanzielle Verpflichtungen. Die Frau selbst bleibt stumm, von ihr erfahren wir nicht, was geschehen ist. Nur ganz am Ende sagt sie zwei Worte: Niemand, Rabbi. Sie weiß, wer ihr da beigestanden hat.

Jesus argumentiert nicht. Argumentativ ist hier wenig zu machen, denn die Verteilung der Macht und der Möglichkeiten ist klar. Er nimmt statt dessen dem Geschehen die Dynamik. Er schreibt auf die Erde, wie Kinder es tun - alles Geschriebene, auch Urteile werden vergehen. Vielleicht tut er auch so, als würde er auf dem sandigen Boden nach einem Stein suchen - es wäre ihm zuzutrauen, weil es klug, entlarvend und schlagfertig-witzig gewesen wäre. Wie auch immer - er macht nachdrücklich und prägnant klar, dass ihm die Situation, in der die Frau ausschließlich als Mittel zum Zweck dient, zuwider ist, dass er für so etwas nicht zu haben ist, dass er das ganze Setting ablehnt. Denn eigentlich geht es den Fragenden gar nicht um die Frau, sondern um eine Falle: Das römische Recht kennt die Todesstrafe für Ehebruch nicht, man könnte also gut den unbequemen Toralehrer zwischen die Fronten geraten lassen - entgegen der Tora zu urteilen oder aber in den Konflikt mit dem römischen Recht zu kommen, auch wenn die Machthaber kaum wirklich einen Einwand gehabt haben dürften. Auch ohne Römer wäre es eine Falle, denn Jesus ist für seine Vergebungspraxis bekannt.

Und so erzählt der Text am Ende auch, dass Jesus die Frau entlässt mit dem Hinweis, nicht mehr zu sündigen. Möglich, dass hier der patriarchale Wunsch der Vater des Zitats war. Aber wie auch immer, "geh", sagt Jesus zu der Frau, die doch vor ihn gezerrt worden war. Wohin? Zu ihrem Mann zurück wohl kaum, der Weg in ihr früheres Elternhaus dürfte auch verschlossen gewesen sein. Freiheit ist gerade für Frauen in der damaligen Gesellschaft und unter den Bedingungen der Besatzung prekär. Vielleicht schwingt in dem Text eine Praxis der Solidarität in kleinen Gemeinschaften von Jesusgläubigen mit (so vermutet es Ruth Habermann). Vielleicht liegt in diesem "geh" die größte denkbare Ermutigung. Jedenfalls setzt Jesus diese Frau frei. Sie untersteht keines Mannes Gericht. Sie darf hinter sich lassen, was ihr geschehen ist. Die Männer hingegen müssen ihre Pläne lassen. Jesus ist kein Komplize im patriarchalen Spiel.

Zum Weiterlesen: Ruth Habermann, Das Evangelium nach Johannes, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hrsg.), Kompendium feministische Bibelauslegung, Gütersloh 2. Auflage 1999, S. 527-541.

Zur 2. Lesung: Beitrag von 2022