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21. Sonntag im Jahreskreis C // zur zweiten Lesung

Ihr habt die Mahnung vergessen, die euch als Söhne anredet: Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn und verzage nicht, wenn er dich zurechtweist! Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet! Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt?

[Würdet ihr nicht gezüchtigt, wie es doch bisher allen ergangen ist, dann wäret ihr keine legitimen Kinder, ihr wäret nicht seine Söhne. Ferner: An unseren leiblichen Vätern hatten wir harte Erzieher und wir achteten sie. Sollen wir uns dann nicht erst recht dem Vater der Geister unterwerfen und so das Leben haben? Jene haben uns für kurze Zeit nach ihrem Ermessen in Zucht genommen; er aber tut es zu unserem Besten, damit wir Anteil an seiner Heiligkeit gewinnen.] 

Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Leid; später aber gewährt sie denen, die durch sie geschult worden sind, Gerechtigkeit als Frucht des Friedens. Darum macht die erschlafften Hände und die wankenden Knie wieder stark, schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern vielmehr geheilt werden!

(Brief an die Hebräerinnen und Hebräer, Kapitel 12, Verse 5-11)

Ich greife in der Regel auf die Übersetzungen der "Bibel in gerechter Sprache" zurück. Bei der Lesung zum 21. Sonntag aus dem Hebräerbrief mache ich eine Ausnahme und verwende die Einheitsübersetzung. Denn dieser Text ist so von patriarchalen Vorstellungen durchdrungen, dass ein Aufbrechen der patriarchalen Sprache darüber hinwegtäuschen könnte, dass es beim kritischen Umgang mit diesem Text um mehr als um Sprache geht. 

Die Leseordnung sieht diesen Text vor, lässt aber die Verse 6-10 in der Mitte weg - ich vermute, das ist auch deswegen so, weil dieser Textteil mit der Feststellung "an unseren leiblichen Vätern hatten wir harte Erzieher und wir achteten sie" (Hebr 12,9) eben keinen Konsens in der Gottesdienstgemeinde mehr ins Wort bringt, und zum Glück. 

Selbstverständlichkeiten prägen Mentalitäten, Weltbilder und auch das Recht. Umgekehrt kann eine Änderung des Rechts auch Mentalitäten und Weltbilder verändern. Letztlich geht es dabei um die Frage, wer wir sein und wie wir leben wollen, und für religiöse Menschen auch um ihr Gottesverhältnis. So ist es auch mit den Prügeln in der Erziehung. Generationen haben Gewalt in der Erziehung erlebt und weitergegeben, und noch heute hört man Menschen sagen "Das hat uns auch nicht geschadet!" Aber wenn man an die viele Angst denkt, die Menschen mit sich herumtragen, an die Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen, an Scham, Selbstekel und die Überzeugung, nichts wert zu sein - dann liegt die Vermutung nahe, dass es doch geschadet hat. Demütigung und Gewalt in der Erziehung machen es Menschen sehr schwer, als Erwachsene groß, weit und frei zu werden. Merkbar wird das am Aufatmen, das sich einstellt, wenn man bekannte Strafsätze einmal anders zu Ende bringt: "Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst... freue ich mich, dass du da bist" oder "Ich zähle bis drei... und dann fangen wir nochmal von vorne an, ok?" Und wie anders wird das Verhältnis von Erwachsenen zu Kindern, wenn sie den Satz "Ich wurde als Kind auch geschlagen" zuende bringen mit "und darum möchte ich nicht, dass du das auch erleben musst, denn es war schlimm, und ich will nicht, dass du dich auch so schlecht fühlst." Und dabei ist das "sich schlecht fühlen" durchaus mehrdeutig: Wer für das Zeigen von Gefühlen, Willensäußerungen und Bedürfnissen bestraft wird, kann sich schlecht selbst fühlen, schlechter für eigene Bedürfnisse einstehen und eins mit sich selber sein. Durch das Verbot der Anwendung von Gewalt in der Erziehung in Deutschland im Jahr 2000 haben sich allmählich auch die Selbstverständlichkeiten geändert, und gewaltfreie Erziehung beginnt die Norm zu werden.

Wenn Gewalt nicht nur in der Erziehung allgemein, sondern auch in der religiösen Erziehung angewendet und damit ein gewalttätiges Gottesbild vermittelt wird, verschärfen sich die Auswirkungen noch, denn dann wird auch der Gotteszugang verdunkelt und verstellt. Dann braucht es viel Arbeit, um in ein vertrauensvolles Gottesverhältnis zu finden, in dem ich wirklich so angenommen bin, wie ich bin. Ein gewalttätiges Bild eines strafenden Vatergottes macht Menschen unsicher in ihrer Gottesbeziehung und verhindert, dass sie religiös reife Erwachsene werden. Es ist damit ein idealer Nährboden für das Patriarchat, das von unterdrückerischen Beziehungen gezeichnet ist, und es begünstigt spirituelle Gewalt und alle ihre Folgen. 

Dass ein knapp 2000 Jahre alter Text kein gegenwartstauglicher Erziehungsratgeber ist, sollte klar sein. Aber mit dem Weglassen unpassender Stellen ist es nicht getan. Die Lesung sollte dazu herausfordern, über unsere Gottesbilder nachzudenken: Erkennen wir das Bild des Vaters noch als das, was es ist, nämlich ein Bild? Im Christentum ist das oft nicht der Fall, sondern Gott IST dann Vater und kann gar nichts anderes mehr sein. Weil aber jedes Bild immer nur ein kleines Mosaiksteinchen von Gottes Schönheit zeigen kann, verpassen wir total viel von Gott, wenn das Vaterbild alles dominiert. Und: "Vater" ist ein gutes Gottesbild, aber wir tun gut daran, seine Eigenschaften zu bedenken. Es ist ein Beziehungsangebot, das mehr kann, als einen Vielleicht liebevollen, auf jeden Fall aber übermächtigen Bestimmer-Vater darzustellen. Das Bild des Vaters lädt ins Vertrauen ein, es vermittelt Herkunft, Zugehörigkeit und Fürsorge. Es darf zärtliche Seiten haben, von Geborgenheit und Sicherheit sprechen. Was wäre es auch für ein verarmtes Bild von Väterlichkeit, wenn man sie auf Strenge reduzieren würde? Und wenn das Bild des Vaters eben nur ein Gottesbild unter vielen ist, dann darf es selbstverständlich auch andere geben. Es geht hier nicht um Korrektheit, sondern um Resonanz in der eigenen Seele. 

Ich möchte damit keinem harmlosen Gottesbild das Wort reden. Menschen machen die Erfahrungen, dass Gott auch dunkle Seiten hat, dass Gott himmelschreiend abwesend ist, dass Gottes Schweigen sie furchtbar alleine lässt, und diese Erfahrungen sind real und brauchen ihren Raum auch im Gottesbild. Ich halte es nur für gesünder, diese Erfahrungen nicht direkt mit dem Vaterbild zu verbinden, das zugleich vermittelt, dass dieser Vatergott mit seinen dunklen Seiten Menschen strafen darf, und dass diese Strafe verdient und notwendig ist. Spätestens nach den Greueln des 20. und 21. Jahrhunderts führt diese Vorstellung in eine unlösbare Theodizee-Problematik hinein. Wie soll man ohne Selbstdemontage an und mit diesem Gottesbild zu Gott hin wachsen, in der Gottesbeziehung groß, weit und frei werden? 

Wenn das Schlussgebet am Sonntag die Bitte vorsieht, dass wir heil werden, dann gehört dazu, dass das Gottesbild der Lesung revidiert wird. Warum sollten wir ein museales Gottesbild weitertragen, das zum Glück kaum noch Anhalt in unserer Erfahrung hat? Wer einen Vater hatte, wie ihn die Lesung beschreibt, hat unter Umständen Verletzungen davongetragen, die therapeutische Hilfe angezeigt sein lässt. Auf keinen Fall sollte Religion solche Erziehungsmethoden auch noch sakralisieren. Der Mentalitätswandel in der Kindererziehung lädt uns in ein reiferes Gottesverhältnis ein.