Cover Image

2. Sonntag im Jahreskreis C // zur 1. Lesung

Um Zions willen will ich nicht schweigen und um Jerusalems willen nicht ruhig sein, bis ihre Gerechtigkeit wie ein Leuchten hervorgeht und ihre Hilfe brennt wie eine Fackel. Die fremden Völker werden deine Gerechtigkeit sehen und alle königlichen Herrschaften deinen Glanz und du wirst mit einem neuen Namen benannt werden, den der Mund Gottes festlegen wird. Du wirst eine prächtige Krone in der Hand Gottes sein, ein königliches Band in der Hand deiner Gottheit. Niemand wird dich noch ›Verlassene‹ nennen, und dein Land ›verwüstet‹, sondern du sollst heißen: ›Mein Gefallen‹ und dein Land: ›Ehefrau‹, denn Gott hat Gefallen an dir und dein Land wird mit Gott verheiratet. Denn wie ein junger Mann ein Mädchen heiratet, so wird dich heiraten, wer dich erbaut. Wie sich ein Bräutigam freut an der Braut, so freut sich deine Gottheit an dir.

(Jesaja, Kapitel 62, Verse 1-5)

Gott ist verliebt. Die Zeit des Exils geht zu Ende, es gibt einen neuen Anfang für Israel, und die Heimkehr wird ein Fest. Symbolisiert wird das mit der Figur Zions, Jerusalems, die für ganz Israel steht. So ruft die prophetische Stimme dem Volk zu: Göttlicher Glanz wird über dir liegen. Die Einheitsübersetzung überträgt hier mit "Herrlichkeit", aber es geht um das Leuchten und darum, Gewicht zu haben, gewichtig zu sein, am allerwichtigsten. Könige werden diesen Glanz sehen, sie werden an Jerusalem sehen, wie Gott sich freut, denn Gottes Freude spiegelt sich in Jerusalem wieder. Jerusalem wird Gottes Schmuck für das feierlichste Fest, die Hochzeitsfeier.

Gott ist verliebt, und Gott freut sich voller Verliebtheit über Jerusalem, Gott hat Lust an Israel - das Wort "Gefallen" ist insofern eine Abschwächung in der Übersetzung, als in ihm die erotisch-sexuelle Komponente nicht so mitschwingt wie bei "Lust" - das Hebräische "Chafez" ist auf der Skala zwischen Gefallen und Lust, Freude und Begehren anzutreffen. Eine Übersetzung stellt hier also notwendig eine Betonung eines der beiden Aspekte dar, während das Hebräische die Balance in der Mitte halten und entsprechend changieren kann.

Wie großartig, die verliebte Freude des Anfangs zwischen Gott und Gottes Volk zu finden. Gott und die Menschen: Das ist mehr als Gebote und Gehorsam, mehr als Herrschaft und Dienst. Das ist die pure Freude daran, dass es den*die andere*n gibt. Das ist, sich selbst wiedergespiegelt zu finden: liebenswert, bestaunt, von unbedingter Bedeutung. So angeschaut zu werden, das heißt, zu spüren: Wie schön, dass es dich gibt. Und angesichts alles dessen, was es zu beklagen gibt bei uns, auf unserer Welt mit so viel Gewalt und Unrecht, geht uns das vielleicht manchmal unter, können wir uns das vielleicht gar nicht vorstellen: Gott ist hin und weg, Gott ist verliebt. In uns.

So weit, so wunderschön. Zwei Einschränkungen trüben das Bild, mit beiden ist heute umzugehen, denn es ist ein sehr alter Text. Einerseits ist da die klare Heteronormativität, mit der die Liebe als eine gegengeschlechtliche Liebe dargestellt wird, und damit wird Gott vermännlicht, weil die Stadt Jerusalem, die für ganz Israel steht, als Frauengestalt inszeniert wird, wie im antiken Orient üblich. Hier gilt wie überall: Es ist ein Bild. Es stellt eine Facette von Gott dar. Gott ist selbstverständlich auch anders und mehr als ein verliebter Bräutigam, und das männliche Bild ist nur eines von Gottes vielen Gewändern. Aber warum nicht, auch Männer sind im Angesicht Gottes geschaffen, also sind auch männliche Gottesbilder geeignet, von Gott zu sprechen. Zu hüten ist sich nur davor, sie wortwörtlich zu nehmen, sie ausschließlich zu verstehen und sie in einem patriarchalen Sinn der übergeordneten Herrschaft über das Weibliche zu gebrauchen.

Das führt zur zweiten Einschränkung: Ehe ist im antiken Orient keine Angelegenheit zwischen zwei gleichberechtigten Personen, sondern Männer sind dabei aktiv, Frauen passiv: Der Mann nimmt eine Frau zur Frau, die Frau wird jemandem zur Frau gegeben. Er heiratet, sie wird geheiratet. Auch die im prophetischen Text verwendete Vokabel, von der oben zitierten "Bibel in gerechter Sprache" mit "heiraten" übertragen, spiegelt das wieder, denn es heißt im ersten Sinn tatsächlich "besitzen, in Besitz nehmen" und erst mit zweiter Bedeutung auch "heiraten", und bei diesem "heiraten" schwingt die Erstbedeutung "in Besitz nehmen" immer mit. So entscheidet auch die neue Einheitsübersetzung von 2016 und überträgt "Wie der junge Mann die Jungfrau in Besitz nimmt", während ihre Vorgänger-Fassung, die Einheitsübersetzung von 1980, noch die Vokabel "vermählt" verwendete. Für den prophetischen Text ist dieses Mitschwingen der Unterordnung kein Problem, da auch diese Gender-Ordnung gut in die Gott-Volk-Analogie passt, in der Gott bei aller Verliebtheit doch die Autorität behält.

Oder? Zwischen diesem Text und uns liegen immerhin ungefähr 2300 Jahre Geschichte und Theologie. Wenn in der Entstehungszeit des Textes beim Verb "in Besitz nehmen, heiraten" die Besitz-Aussage einfach eine Rechtspraxis benannte, aber das Eintreten in ein intimes Verhältnis doch dabei präsent blieb, so schwingt im Gegenteil bei "in Besitz nehmen" heute dieses Eintreten in ein intimes Verhältnis eben nicht mehr mit. Und auch wenn das Rechtsinstitut der Ehe im Alten Orient von unserem Verständnis einer Ehe weit entfernt ist, eignet ihm eben doch dieser Aspekt der Intimität. Der Text vergleicht nun die Wieder-Aneignung Jerusalems durch Israel mit einer Eheschließung, das heißt zeitgenössisch auch einer In-Besitz-Nahme, und in Bezug auf die Stadt und das Land erscheint es zunächst einmal schlüssig, es dann auch so zu übertragen. Aber der Text changiert, und schon im nächsten Satz rückt Gott an die Stelle des Bräutigams. Und da mag in der deutschen Übertragung, wenn die Einheitsübersetzung im Gottesdienst zu Gehör kommt, zumindest den Frauen die Verliebtheits-Freude wohl vergehen, wenn sie hören: "Wie der junge Mann die Jungfrau in Besitz nimmt, so nehmen deine Söhne dich in Besitz - wie ein Bräutigam sich freut an der Braut, so freut sich dein Gott über dich." (V.5)

Wenn wir nun nicht nur fragten, was die Vokabeln damals bedeuteten, sondern weiter Gott entgegendächten. Dann könnten wir fragen, was mit diesem Bild passiert, wenn wir das Heiraten anders verstehen denn als eine Handlung, die zwischen einem aktiven und einem passiven Menschen stattfindet. Wenn wir unser Bild einer Handlung zwischen gleichberechtigten Beteiligten zugrunde legten, und in diesem Bild dann Gottes Liebe zu uns entdeckten - dann ist das riskant, weil wir eben nicht mit Gott auf einer Stufe stehen. Aber von Gott aus auf uns hin gedacht, bringt es Gottes glühende Liebe noch leuchtender ins Bild. Es führt ins Staunen wie Psalm 8:  "Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst?... Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott...."  Und, noch weiter gedacht, könnte uns das auch ein Bild sein, anders mit der Erde umzugehen. Heiraten statt in Besitz nehmen: Hegen, pflegen und wertschätzen, behutsam, respekt- und liebevoll.

Gott ist verliebt. Es ist ein Bild aus einem alten, wertvollen Text, einem Text einer Lesegemeinschaft, in die wir uns hineinlesen dürfen. Wenn es heute sprechen soll, dann verstellt die patriarchale Dimension der Sprachbilder den Blick auf Gott und dieses unerhörte, wunderbare Bild. Theologie kann aber mehr sein als Patriarchats-Verteidigung, und darum dürfen wir die Dimension des Bildes weiterdenken und noch mehr darin entdecken als die ursprünglichen Autor*innen: Gott will uns nicht besitzen. Gott ist verliebt. In uns.