
1. Adventssonntag Lesejahr A // zur 1. Lesung
Es wird geschehen am Ende der Tage: Fest stehen wird der Berg des Hauses Gottes als Gipfel der Berge und sich erheben über die Hügel,
und zu ihm werden alle fremden Völker strömen.
Und die Völkerfamilien werden gehen und sagen: »Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg Gottes, zum Haus der Gottheit Jakobs, damit sie uns lehre ihre Wege und wir gehen auf ihren Pfaden,
denn von Zion wird Weisung ausgehen
und das Wort Gottes von Jerusalem.«
Und Gott wird Recht sprechen zwischen den fremden Völkern und schlichten innerhalb der Völkerfamilie..
Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Winzermessern umschmieden, kein fremdes Volk wird mehr gegen ein anderes sein Schwert erheben, und sie werden nicht mehr das Kriegführen lernen.
Haus Jakobs: Auf und lasst uns im Licht Gottes gehen!
(Buch Jesaja, Kapitel 2, Verse 2-5)
Die Vision von der Völkerwallfahrt ist ein friedliches Bild. Keine feindlichen Heere rücken an, sondern eine friedliche Menge. Diese Verse bilden zusammen mit Jes 66,18-22 (die Verehrung Gottes durch alle Nationen) eine ausgesprochen fremdenfreundliche Klammer um das Buch Jesaja, eine Vision von Frieden und Fülle, an der alle Völker teilhaben. Dieses Bild steht neben anderen Visionen der Zukunft Gottes; die prophetischen Schriften des Ersten Testaments entwerfen keine Lehre von den letzten Dingen, keine Eschatologie, sondern sie formulieren Eschatopoesie - Bilder, die nebeneinander stehen, sich ergänzen, sich auch konterkarieren können - wer weiß schon, was Gott noch alles für uns bereit hält.
Die biblische Eschatopoesie durchläuft dabei verschiedene Phasen. Es geht nicht von Anfang an um eine Endzeit, sondern erst um eine baldige Zeitenwende und dann um eine Heilszeit ohne Ende, zunächst durchaus als qualitative Verbesserung des Ist-Zustands, aber nicht völlig anders als die Gegenwart vorgestellt. Es ist wichtig, dabei mitzudenken, dass es hier nicht um Vorhersagen der Zukunft geht, sondern um das Hochhalten der Hoffnung, nicht um das Wegträumen in eine ganz andere Welt, sondern um Orientierung für die nächsten Schritte, nicht um das zu Absehbare, sondern um das zu Hoffende, nicht um das Erwartbare, sondern um das Geschenkte. Und wie das so ist mit Zuversicht: Sie trennt die Zukunft nicht komplett von der Gegenwart, sondern sie findet Ansätze für das, was noch zu hoffen ist, in der Gegenwart. Es kann schon beginnen.
Die Völkerwallfahrt zum Ort der Gottespräsenz, dem Zion, ist ein Gegenbild zum Krieg. Und hier lohnt ein genauerer Blick auf die Wortwahl des hebräischen Textes. Er unterschiedet nämlich zwei Wörter für "Völker/Nationen", die im Deutschen gar nicht so einfach zu differenzieren sind. Das Wort "Goj/Gojim" meint die fremden Völker, das Wort "'Am/'Amim" schließt eine eigene Zugehörigkeit ein. Die fremden Völker stehen in der Außen-, das eigene Volk in der Innenperspektive. Es kommen also alle fremden Völker nach Jerusalem, zum Zion. Und indem sie gehen, werden sie zur Völkerfamilie: Aus Gojim werden 'Amim. Das Ziel ihrer Wanderung ist der Zion in Jerusalem, von wo aus Gottes gute Weisung ausgeht, die Tora, die Weisung für das Zusammenleben der Menschen und das gute Leben vor und mit Gott. Und diese Weisung, die ausgeht, ist das Wort Gottes, das eines der weltzugewandten Gesichter Gottes ist, wie die Weisheit Gottes auch. So wird der Zion der Ort der Gegenwärtigkeit Gottes selbst. In Jes 55 wird dieses Wort noch einmal mit einer gewissen Eigenständigkeit in der Welt unterwegs sein. Aus dieser Denk- und Glaubensfigur, dass es weltzugewandte Seiten Gottes gibt, die Gott, die doch alles Geschaffene so unfassbar groß übersteigt, das jedes Bild zu klein, jeder Name zu ungenügend ist, wird später bei den Jesusgläubigen der Glaube daran, dass Jesus von Nazareth so ein weltzugewandtes Gesicht Gottes war. Sie selber sollten sich "die dem neuen Weg folgen" nennen - denn Glaube hat etwas mit Unterwegs-Sein zu tun, so wie die Völker zum Zion ziehen.
Und auch, was dann zu erhoffen ist, ist wieder sorgfältig austariert, denn auch hier sind es zwei Wörter, die feine Nuancen einziehen: Das erste, was für die fremden Völker angewandt wird, ist "schafat", "richten, Recht sprechen", auch im Sinne von Regierungs- oder Herrschaftshandeln. Innerhalb der Völkerfamilie agiert Gott anders, nämlich mit dem Verb "jachach", "schlichten", wobei dies durchaus auch ein richterliches Handeln meint. Es geht nicht nur um Ausgleich, sondern um Anwendung des Rechts. Gott wird also Recht sprechen zwischen den fremden Völkern, das heißt, Gott wird ihre Macht zur Gerechtigkeit ausüben - Gerechtigkeit im Großen. Dann wird kein Volk mehr gegen ein anderes, fremdes Volk Krieg führen.
Aber innerhalb der zusammengehörenden Völkerfamilie, zu der die fremden Völker dadurch werden, dass Gottes Gerechtigkeit derart über ihnen aufgeht, wird Gott wie eine gewissenhafte Richterin für Gerechtigkeit sorgen: Beweise führen, begründen und entscheiden. Das ist dem Richten im Großen deutlich ähnlicher als eine Mediation, aber es verweist auf einen Prozess, in dem diejenigen, die einen Rechtsstreit haben, eine Stimme haben, wo es um Einsicht, um Wiedergutmachung und um ein Ende der Auseinandersetzung geht - Gerechtigkeit im Kleinen. Und erst diese Gerechtigkeit, die nach Einsicht verlangt, weil eine Begründung mit ihr verbunden ist, führt zum Ablegen der Waffen, zum Lernen des Friedens. Die Vision spricht weder von einer von außen erwirkten Abrüstung oder einer Zerstörung aller Waffen durch Gott noch davon, dass nur die Herrscher dies tun. Diese freiwillige Abrüstung von unten führt dazu, dass die, die vorher mit Waffen Beute machen wollten, nun Gerätschaften herstellen, mit denen man Äcker und Weinberge pflanzt. Das sind Tätigkeiten für den Frieden, die zur Erfahrung von Sattwerden und Fülle führen werden. Im Krieg werden Lebensgrundlagen zerstört, hier aber werden auch langfristige Pflanzungen wie ein Weinberg möglich.
Krieg bedeutet immer auch sexuelle Gewalt und wird in der Bibel auch mit Bildern sexueller Gewalt beschrieben. Der Frieden, um den es hier geht, ist nicht nur ein Frieden im Bereich der großen Politik, sondern auch zwischen den Geschlechtern. Er bedeutet Sicherheit auch vor männlicher sexueller Gewalt. Die Klingen, die hier noch benutzt werden, dienen friedlichen Zwecken, nicht der Unterwerfung. Die Gerechtigkeit, die hier aufgerichtet wird, ermöglicht Wachsen und Fruchtbarkeit. Sie delegiert Verantwortung nicht, sie nutzt nicht die kleinen Spielräume für den eigenen Vorteil, sie beruht auf Einsicht in das, was dem Leben dient, und auf freiwilligem Verzicht auf Dominanz und Privilegien - in der Völkerfamilie sind alle gleichwertig. Das ist eine Herausforderung für alle, die von Ungleichheit profitieren, und ein Wort der Zuversicht, gerade auch für heute, wo faschistisches Denken Raum gewinnt, das von solcher Gleichwertigkeit nichts weiß.